Corona-Krise: Kampf ums Überleben – Taskforce Nachtkultur kommt

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Videostill © Manuel Wiedemann mw4film.com 2020, aus: Chilz – Läbenskunst
Videostill © Manuel Wiedemann mw4film.com 2020, aus: Chilz – Läbenskunst

Kulturstadt Jetzt hat Anfang Juni 2020 im Basler Parlament erfolgreich die Motion «Taskforce Nachtkultur» ein- und durchgebracht. Die Motion will für die schwer von der Corona-Krise getroffene Nachtkultur-Branche schnelle Lösungen finden und umsetzen. Denn aktuell kämpfen viele Kultur- und Gastrobetriebe ums Überleben. Ein Überblick.

Politik / Networking

Es braucht kein Insiderwissen und keinen Taschenrechner, um die existenzbedrohende Lage für viele Kulturbetriebe in der Stadt Basel (und natürlich auch anderswo) zu begreifen. Vom 16. März bis 5. Juni 2020 herrschte ein komplettes Veranstaltungsverbot (seit 28. Februar waren bereits Veranstaltungen bis 1 000 Personen verboten; und darunter nur sehr eingeschränkt erlaubt).

Bildlich gesprochen:
Drei Monate war der Patient bettlägerig, nun geht er immerhin an Krücken und darf Besuch empfangen, weiss aber noch nicht genau, wann die Reha vorbei ist, ob die Knochen und Schrauben halten, ob die Krankenkasse das alles überhaupt bezahlt und: ob er nicht im Herbst/Winter nochmals unters Messer muss. Stress pur für (Nacht-)Kulturbetriebe und ihre Mitarbeitenden. Trotzdem: Viele geben unbeirrt ihr Bestes, um eine Art von Normalität zu schaffen. Viele Nachtarbeiter*innen sind zäh und leidenschaftlich.

Die Zeit des Finetunings dieser Krise ist jetzt
Krise als Normalität oder Normalität in der Krise?
Zwar hatte der Bundesrat bereits am 20. März eine Kultur-Soforthilfe von 280 Millionen CHF schweizweit zur Verfügung gestellt; das liess aufhorchen und hoffen. Aber noch scheint die Hilfe nicht wirklich bei den vorgesehenen Empfänger*innen angekommen zu sein. Die administrativen Hürden für Gesuche und Abklärungen sind für manche zu hoch – oder die tiefen EO-Taggeldsätze der Ausgleichskassen sind für Selbständigerwerbende oft entwürdigend niedrig.

Den Entscheidungsträger*innen in Bern – ob im Bundesrat oder im Staatssekretariat für Wirtschaft – fehlt das Verständnis oder auch einfach das offene Ohr für die Bedeutung und das Funktionieren von Kultur, vor allem von Kultur by night. Kein Wunder, bei der Flut von Hilferufen und Druckversuchen professioneller Lobbyisten aus allen möglichen Branchen.

Doch: Any port in a storm. Die Zeit des Finetunings dieser Krise ist jetzt, in Bern wie in Basel. Die Arbeit an der Zukunft hat begonnen.

Kulturstadt Jetzt: «Basler Club- und Nachtkultur droht eine Katastrophe»

Die Zeit drängt. «Die Corona-Krise trifft die Kulturszene hart und es muss verhindert werden, dass sie verloren geht», sagte Kulturstadt Jetzt klipp und klar am 18. Mai 2020 in einer Medienmitteilung.

«Die Club- und Nachtkultur hat bisher keine Perspektive erhalten. Es droht eine wirtschaftliche und kulturelle Katastrophe.» Auf die düstere Prognose folgt das Commitment, das auch von der Basler Regierung eingefordert wird: «Die Club- und Nachtkultur ist kein Luxusgut, sondern Teil des Kitts, der unsere Gesellschaft zusammenhält.»

Und ein Wirtschaftsfaktor.
In Deutschland sind die Verbände der Musikwirtschaft gemeinsam mit der Forderung nach einem Hilfsprogramm in der Höhe von 582 Mio. € (bei 11,1 Mrd. € jährlichem Umsatz) an die Regierung in Berlin gelangt. Auch in der Schweiz ist am 8. Juni eine gemeinsame Kampagne wichtiger Kulturverbände- und organisationen gestartet. 14 Verbände haben sich in der Kampagne «Kultur ist mein Beruf» (culture is my job) zusammengeschlossen, um beim Bundesrat endlich als unverzichtbare wirtschaftliche (und gesellschaftliche) Kraft im Land wahrgenommen zu werden – etwa wie die Fluglinie Swiss, der bereits durch den Bund verbürgte Corona-Kredite in der Höhe von 1,275 Mrd. CHF in Aussicht gestellt werden (Swiss beschäftigt 9 500 Angestellte – die Musikbranche in der Schweiz rund 30’900¹). Es geht um Anerkennung und es geht um Jobs. Um Passagiere. Also um Menschen.

Videostill © Manuel Wiedemann mw4film.com 2020, aus: Chilz – Läbenskunst
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Schnelle Eingreiftruppe: Taskforce Nachtkultur soll so rasch wie möglich aktiv werden

Zurück nach Basel und zu Kulturstadt Jetzt: «Die bisherigen Hilfeleistungen für die Kulturbranche sind lobenswert, aber nur eine Taskforce kann nun helfen, die verschiedenen Voraussetzungen und Bedürfnisse zu bündeln (...), damit Massnahmen durchgesetzt und die Unterstützung rechtzeitig an die richtigen Stellen gelangt», so Kulturstadt Jetzt weiter.

Das soll jetzt geschehen. So rasch wie möglich.

Am 3. Juni hat der Grosse Rat Basel-Stadt die dringliche Motion «Schaffung Taskforce Nachtkultur» von Kulturstadt-Jetzt-Grossrat Sebastian Kölliker sehr deutlich mit 75 gegen 12 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) an die Regierung überwiesen. Bis die Taskforce konkrete Massnahmen umgesetzt hat, wird es jedoch etwas dauern.

Die Club- und Nachtkultur hat in Basel (und anderswo) also noch weiter zu kämpfen, obwohl seit dem 6. Juni kleinere Veranstaltungen und seit dem 11. Mai der oft doch ziemlich sterile Gastrobetrieb wieder möglich sind – oder wären. Von internationalen Acts in Basler Clubs oder auf Festivalbühnen ist die Stadt by night aber noch weit entfernt.

Auch regionale Bands finden sich bis jetzt praktisch gar nicht in den dürren Programmvorschauen der wenigen Clubs, die wieder geöffnet sind oder öffnen werden (etwa die Kaschemme, das Viertel_Dach und der Viertel_Club, das Elysia, die Heimat, der Humbug, das Parterre One, Flore Saturday Sessions oder der Bird's Eye Jazzclub, die Kaserne, etc. (Liste der Clubs mit Live-Musik in der Region Basel). Öffnen werden sich auch die Grenzen zu Deutschland und Frankreich am 15. Juni.

Wie sehr die Basler Club- und Popszene aka Nachtkultur von der Corona-Krise wirklich betroffen ist, wird sich – darin sind sich in einer persönlichen Umfrage alle einig – erst in einem Jahr oder gegen Ende 2021 wirklich zeigen. Mittelfristig steht die Aufbauarbeit von über einem Jahrzehnt auf dem Spiel. Doch manche Betriebe stehen bereits jetzt mit dem Rücken zur Wand. Die Strasse zur «Music City Basel» ist momentan gesperrt.

Es braucht also individuelle, rasche, unbürokratische Hilfe. Einerseits diejenige, die der Bund schon im März beschlossen hat und die jetzt unbedingt schnell ankommen muss – und andererseits eine lokal und regional abgestimmte. Dafür ist die Taskforce Nachtkultur das griffige Instrument. Eine schnelle Eingreiftruppe in friedlicher Mission sozusagen.  

Videostill © Manuel Wiedemann mw4film.com 2020, aus: Chilz – Läbenskunst
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Zum Beispiel: Hilferuf des Kulturkollektivs Hirscheneck

Zwar konnten das Atlantis und das Parterre One in Basel über Crowdfunding erfolgreich fünfstellige Beträge für die Sicherung des Kulturbetriebs im Herbst akquirieren, doch der Hilferuf etwa des Beizen- und Kulturkollektivs Hirscheneck in Basel lässt aufhorchen und verbreitet sich rasend schnell (auf Facebook über 300 mal geteilt): Das Finanzloch ist gross, die Wiedereröffnung (ab 11. Mai, Anm.) läuft unter Erwartung und ganz einfach gesagt hat das Hirscheneck «die finanziellen Auswirkungen der Pandemie und deren Dauer unterschätzt.»

Was nicht nur das Hirscheneck jetzt braucht: Die Solidarität der Gäste, die Gutscheine für später kaufen und einmalige Spenden überweisen – aber auch klare Bedingungen und Kommunikation der Krisenmanager*innen. Denn viele Gäste sind trotz Wiedereröffnung und Schutzkonzepten immer noch stark durch das Coronavirus verunsichert. Oder sie sind finanziell selber massiv betroffen von der Krise, sodass es für den Ausgang mit Essen und Trinken – oder gar für Konzerttickets – ganz einfach nicht reicht. Depression hat viele Gesichter.

Doppelter Aufwand, halber Ertrag – und die Quarantäne-Faust im Nacken

Und so kämpfen sie weiter, bei Tag und bei Nacht. Für manche Betreiber*innen von Musikclubs und Kulturbetrieben by night ist die Kurzarbeitsentschädigung bereits am 31. Mai ausgelaufen, obwohl ihre Betriebe erst am 6. Juni und nur unter erschwerten Bedingungen wieder öffnen konnten. Die Schutzmassnahmen generieren einen hohen Aufwand an Material und Personal; die Umsätze sind wegen der eingeschränkten Gästezahl sehr viel niedriger.

Und: Die Schutzmassnahmen für einen Club-Event samt Gastrobetrieb sind alles andere als einfach umzusetzen: Abstandhalten (2 Meter Distanz), limitierte Kapazitäten (maximal 300 Personen, je nach Raum sehr viel weniger), Polizeistunde Mitternacht, Informationsmaterial verteilen und erklären, Hygienemasken-Anleitungen, Kontaktdatenerhebung bei den Gästen, abgetrennte Gästesektoren, Schutz von Risikogruppen, regelmässige Reinigung (WC etc.), Quarantänemassnahmen bei bestätigten Infektionen (auch für die Mitarbeitenden), etc.

Dazu kommt ein Imageverlust, falls tatsächlich eine Infektion in einem Club bekannt werden sollte – oder die Schliessung. Eine permanente Stresssituation auch für Mitarbeitende.

Videostill © Manuel Wiedemann mw4film.com 2020, aus: Chilz – Läbenskunst
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Lösungsorientierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Deshalb ist die Taskforce Nachtkultur für Basel ein sehr wichtiges und dringendes Instrument, um das gemeinsame Ziel zu erreichen: Die Stadt by night muss lebendig bleiben, denn Städte ohne Nacht gibt es nicht.

Die in der Coronavirus-Krise neu etablierte, unkomplizierte und lösungsorientierte Zusammenarbeit aller involvierten Player*innen auf Augenhöhe ist dabei von grossem Nutzen. Es geht uns besser, wenn es allen besser geht; diese uralte Überlebenstechnik als neu gelebte Solidarität ist eine sehr erfreuliche Erkenntnis dieser Corona-Krise, die kam, um uns Menschen zu trennen.

Der minimale momentane Konsens dieses solidarischen Miteinanders hat nun auch im Grossen Rat für die Taskforce Nachtkultur getragen und das gibt Mut und Hoffnung für Basel by night. Denn Kultur, egal welche, ist miteinander ganz einfach viel heilender als gegeneinander. Oder im Optimierungs-Slang gesprochen: zielführender.

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Kulturstadt Jetzt: Website (in Überarbeitung) | Facebook
Der RFV Basel ist Mitbegründer und Mitträger von Kulturstadt Jetzt.

Die Videostills stammen aus dem neuen Musikvideo «Läbenskunst» des Basler Rappers Chilz, mit freundlicher Erlaubnis von MW4Film Basel © 2020.

¹ Die Musikwirtschaft in der Schweiz: rund 30’900 Beschäftigte, die einen Umsatz von 1,836 Mia. CHF erwirtschafteten, vgl. Taschenstatistik des Bundesamts für Kultur, 2019.

Informationen für Musikschaffende in der Corona-Krise

Der RFV Basel informiert seit Anfang März 2020 die Popmusikszene der Region über Entwicklungen und Unterstützung in der Corona-Krise: www.rfv.ch/corona
Die Chronologie der Krise: www.rfv.ch/corona-chronologie
Wie sich die Popszene der Region Basel selber hilft (nicht mehr topaktuell): www.rfv.ch/coro-no

Zum Beispiel: Das 3-Säulen-Prinzip der Corona-Soforthilfe des Bundesrats für Kultur-/Musikschaffende

  • Kurzarbeit (Arbeitgeber*in) oder Erwerbsausfall (Selbstständige, Ausgleichskasse, Taggelder EO)
  • Nothilfe (Suisseculture Sociale)
  • Ausfallentschädigung (Kultur Basel-Stadt, kulturelles.bl)

Für Kulturbetriebe kommt vor allem die Liquiditätshilfe dazu (Kredite, Darlehen). Mehr dazu via den erwähnten Corona-Link des RFV Basel.

Nachtmusik gegen die Krise

Der Basler Producer und Composer Ăvem hat wie 130 andere Musiker*innen einen Track für den Electronic-Sampler Make Some Room zur Verfügung gestellt. Der Sampler ist eine Selbsthilfeaktion der Schweizer Clubszene um wurde bereits am 8. April 2020 veröffentlicht (Kaufen über den Link oben). Mit einem Beitrag des RFV Basel.