Der unruhige Pensionär: Anerkennungspreis für Anthony Thomas
Der Anerkennungspreis 2020 im Rahmen des Basler Pop-Preis wird von den Mitgliedern des RFV Basel an Anthony «Tony» Thomas verliehen, der seit Ende der 80er Jahre mit seiner Garage-Surf-Rockband The Lombego Surfers von Basel aus durch die Lande zieht. Eine Würdigung.
Doktor Fisch
Der Schweizer Punk-Chronist, Musiker, Ausstellungskurator und Publizist Lurker Grand (Hot Love u.a.) hat Anthony Thomas und seine Kult-Band The Lombego Surfers vor zwei Jahren in der deutschen Musikzeitschrift Ox Fanzine vorgestellt: «30 years of pure Rock’n’Roll» lautete der coole Titel – er liefert auch eine treffende Zusammenfassung für ein leidenschaftliches Musikerleben abseits von Ruhm, Trends und Rock'n'Roll-Klischées.
Rock'n'Roll steht hier für eine Lebens-, Denk- und Spielart, die wider alles Digitalisierungsgezwänge sehr lebendig, open minded, vollständig analog und null protektionistisch geblieben ist – und ehrlich gesagt auch sehr freundlich. Anthony Thomas ist auch das «pure Gegenteil eines Rockstars».
Mittlerweile ist Anthony Thomas, der 1978 aus Boston / Massachusetts nach Basel kam und zuerst in der Band Code, dann von 1985–1987 bei The Union spielte (bereits mit Pascal Sandrin, dem Bassisten der Lombego Surfers), im Pensionsalter angelangt.
Unglaublich eigentlich. 1987 oder '88 live auf der improvisierten Bühne der besetzten Alten Stadtgärtnerei in Basel – 2020 erst eine allererste öffentliche Auszeichnung für den Songwriter, Sänger und Gitarristen der Basler Kult-Band (abgesehen vom Publikumspreis des Basler Pop-Preis' 2016). 32 Jahre. Das ist schon ein langer Weg. Doch Rock'n'Roll – trotz Hall of Fame – wurde ja auch nicht für Auszeichnungen und roten Teppich erschaffen. Eher aus Protest dagegen.
Das 13. Album ist in Arbeit, Tourpläne werden geschmiedet
Aufhören ist in der DNA eines so puren Rock'n'Roll-Archetypen wie ihm nicht vorgesehen – bereits plant der unruhige Pensionär Tony Thomas mit seinen Bandmates Pascal Sandrin (bass) und Olivier Joliat (drums) den 13. Longplayer der Band. Es soll, als Nachfolger von Heading Out, im Sommer 2021 wieder beim Label Flight 13 Records in Deutschland erscheinen. Das Artwork wird wie seit Beginn der Zeitrechnung vom Illustrator und Grafiker Dirk Bonsma verantwortet.
Und dann – so der Plan der drei Unerschrockenen – soll die neue Scheibe im Herbst von Spanien über Ostdeutschland bis Südosteuropa live vorgestellt werden. Die ersten Demosongs der Band verraten vor allem eines: Volle Energie, keine Schnörkel, rotzige Trinklieder, keine Altersmildheit. Sondern eben ... pure Rock'n'Roll. Ohne den geringsten Hauch von romantisierender Verklärung oder Veteranen-Rechthaberei.
Vor vier Jahren würdigte der Dokfilm «Tony, you rock» das Schaffen des Lombego Surfers Tony Thomas. Der Text unten bezieht sich darauf.
Herzlichen Glückwunsch, Tony!
Das ganze Ox-Fanzine-Interview von Lurker Grand mit Anthony Thomas gibt es hier nachzulesen.
«Tony, you rock»
Er hat The Lombego Surfers Ende der 80er Jahre in Basel gegründet; seither ist er unermüdlich auf Tour, nimmt Platten auf, schreibt Songs. Anthony «Tony» Thomas war einst von der Ostküste der USA nach Basel gekommen, um klassische Laute zu studieren. Bei Jimi-Hendrix- oder Stooges-Konzerten in den USA war er zuvor mit dem Rock-Virus infiziert worden. Auch die Rolling Stones begeisterten den jungen Mann aus Boston. Wenig später kam Punk Rock.
Wer den Geist des Rock’n’Rolls – also nicht die Klischees und Albernheiten, sondern den wahren, untötbaren Kern, die Magie – nicht versteht oder verstehen möchte, der hat bei «Tony, you rock» eher wenig verloren. Ausser, er interessiere sich für ein Musikerleben abseits der bürgerlichen Konventionen und abseits der grossen Rockstars. Wer sich jedoch für den Musiker, Songschreiber, Menschen und Zeitzeugen Anthony Thomas und seine Philosophie interessiert, der setze sich bitte aufs Sofa und lasse Dosenbiere zischen. – Zisch!
Der Basler Fotograf und ehemalige Punk-Sänger Matthias Willi hat kein klassisches Biopic über den Rock’n’Roll-Paten von Basel gedreht, sondern eine intime Momentaufnahme on tour, ergänzt durch wenige Interviews mit Weggefährten des 63-jährigen Bostonians (2016). Im eher engen Bandbus der Lombego Surfers gab es sowieso nur noch einen freien Sitzplatz und für dickes Film-Equipment war kein Stauraum mehr da. Also.
Ist es ein Ein-Mann-Film geworden, der sich dem Ein-Mann-Phänomen annähert. Liebenswürdig und unprätentiös, unterhaltsam, witzig und ... viel zu kurz: 40 Minuten dauert die Reise mit Tony, also genauso lang wie ein Lombego-Surfers-Album. Das macht wiederum Sinn.
«In einer Dorfkneipe im Erzgebirge, nahe der tschechischen Grenze», sagte Matthias Willi kürzlich in der Tageswoche, «habe ich Musikfans getroffen, für die die Lombego Surfers die beste Band der Welt sind (die Szene ist im Film zu sehen, Anm.). Und sie sind keine Ausnahmen: So treue Fans findet man über ganz Europa verteilt». Dabei geht es nicht um Konzerthallen mit protzigen Boxentürmen, Dicke-Hose-Security und überteuertem Bier, sondern um Bars, Clubs, Keller. Dort rocken und surfen die Lombegos, und dort feiern die Fans den Moment und die Nacht.
Das Gegenteil eines Rockstars
«Don't Need Much» (Ich brauch nicht viel) heisst ein Lombegos-Song, geschrieben, gesungen und mit einem 76er-Punk-Riff von der Leine gelassen von Anthony Thomas. Seinen Namen sucht man auf den Platten vergebens. «Written and played by The Lombego Surfers» steht da, das reicht.
Den Rest hört man ja: Es mag irgendwo auf der Welt eine ähnliche Band wie die Lombegos geben, aber es gibt keinen zweiten Anthony Thomas. Typen wie er werden nicht mehr gebaut. Typen, die einfach ihr Ding durchrattern, hartnäckig, aber freundlich, manisch irgendwie, aber nie kaputt, minimalistisch und erlöst von der Dummheit der Menschheit, erleuchtet vom Geist des Rock’n’Rolls und des Punkrocks. Tony ist der freundlichste Mensch der Welt, Nichtraucher, keine Drogen, ein Gentleman in Turnschuhen, Jeans und Jeans- oder Lederjacke – das pure Gegenteil von Eitelkeit. Das pure Gegenteil eines Rockstars. Ich brauch nicht viel, singt der Erste Lombego-Surfer im Song. Aber das dafür ums Verrecken.
Am Ende, glaube ich, geht es Tony darum, mit den Fans auf Augenhöhe die Urkraft des Rock'n'Rolls zu teilen. Nicht in Stadien, sondern: von Angesicht zu Angesicht, in kleinen Clubs mit hoher Schweissdichte. Tony schaut seinem Publikum oft direkt in die Augen. Er fordert vom Publikum das gleiche ein, was er ihm gibt: totale Hingabe. Dafür wurde der Rock'n'Roll schliesslich erfunden.
Natürlich ist der wahre Rock'n'Roll untötbar, er wird nie sterben. Kein Zombie, sondern der lebendige Geist. Wir haben das von Chuck Berry, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Patti Smith, Neil Young und Lemmy Kilmister gelernt. Und lernen noch, von Anthony Thomas zum Beispiel, der im Song «My Style» klarmacht: «Got no money / I got style».
Eine bessere Parole ist bisher nicht ausgegeben worden.
Discography
Die komplette Discography der Lombego Surfers gibt es bei Discogs. (Für das allererste Vinyl-Doppelalbum At The Gates Of Graceland (1990) werden dort schnell mal 100 Euro fällig.)
Die meisten Platten sind im Mailorder oder im Laden von Flight 13 Records in Freiburg erhältlich.
Die neueren Releases sind an Konzerten der Band erhältlich, oder über Bandcamp (Band-App unten klicken).
Anerkennungspreis des RFV Basel im Rahmen des Basler Pop-Preis
Erstmals haben die Mitglieder des RFV Basel den*die Träger*in des Anerkennungspreis' in einem anonymen Verfahren bestimmt. Der Preis wird seit 2014 verliehen und ist mit 6 000 CHF dotiert. Verliehen werden kann er an eine*n Musiker*in, die*der
- seit mindestens 25 Jahren kontinuierlich musikalisch arbeitet (alle Stile der Popmusik),
- hohe künstlerische Qualität und grosse Relevanz für die regionale Szene ausweist,
- heute noch stark präsent ist und mit Auftritten und Veröffentlichungen in Erscheinung tritt.
Bisherige Preisträger*innen sind Anthony Thomas (2020), Bettina Schelker (2018), V.O. Pulver (2017), Black Tiger (2016), Pink Pedrazzi (2015) und Roli Frei (2014).