TranshelvetiQ Residency: Das Publikum als imaginäre Grösse
Der erste Residency-Workshop im Rahmen des neuen Pilotprojekts TranshelvetiQ hat im Februar 2021 zwei Westschweizer Popmusiker*innen in der Kaserne Basel die Möglichkeit gegeben, intensiv an ihrer Bühnenpräsenz zu arbeiten. Im Juni wird dann ein Basler Act in die Romandie reisen; das Bewerbungsfenster des RFV-Fördertools Resonate TranshelvetiQ ist bis 7. März geöffnet. Doch wie läuft so eine Residency eigentlich ab?
Doktor Fisch
Die Romandie zu Gast im Rossstall der Kaserne Basel – wie schön!
Allerdings ist während der vier Tage Residency das Publikum im Konzertsaal der Kaserne aussen vor geblieben. Gearbeitet haben die Genferin La Colère und die Neuenburgerin Giulia Dabalà zusammen mit ihrer Coachin Flèche Love (Genf) und ihrem Coach Steven Schoch (Basel) sehr indiviuell an ihrer Bühnenpräsenz und der Stärkung des Selbstvertrauens als Live-Musikerinnen und -Interpretinnen. Und das mitten im Lockdown, quasi: In Vorbereitung auf die Rückkehr der Live-Konzerte.
Eingeladen hat die beiden Musiker*innen und ihre Coaches das gemeinsame Projektteam von TranshelvetiQ auf Empfehlung der Westschweier Popförderinstitution Fondation CMA. Gastgeberin ist die Kaserne Basel, die sich wie so viele Spielstätten im physischen Lockdown befindet.
Die Basler und die Romandie-Popszene reichen sich die Hände
Die viertägige Residency der jungen Westschweizer Poptalente läuft unter der Flagge «TranshelvetiQ»: das neu konzipierte Fördertool, das vom RFV Basel mitinitiiert wurde, soll die beiden Musikszene der Romandie und der Region Basel näherbringen.
In diesem so schwierigen Jahr 2021, nach dem so schwierigen Jahr 2020, wird TranshelvetiQ als Pilotprojket zuerst die Romandie in die Kaserne (Februar) und dann, im Juni, eine Basler Band bzw. ein*e Basler Musiker*in in die Romandie begleiten. Genauer gesagt: nach Yverdon in den Club L'Amalgame. Die Region Basel und die Romandie reichen sich also – Corona hin oder her – über den Röschtigraben hinweg die Hände.
Corona-Krise nagt auch am Selbstvertrauen der Bühnenkünstler*innen
Das Selbstvertrauen, die Sicherheit der eigenen Bühnenpräsenz hat durch die Corona-Lockdowns bei vielen Bühnenkünstler*innen gelitten. Gerade Popmusiker*innen dürfen zum zweiten Mal und nun schon seit einigen Monaten wieder einen wesentlichen Teil ihres Berufs nicht ausüben: die Live-Konzerte, die Tourneen, die Bühne rocken.
Es ist wirklich ein wenig paradox: Live-Auftritte sind verboten. Und doch üben La Colère und Giulia Dabalà zusammen mit ihrem Coach Steven Schoch an diesem Februar-Mittwoch den individuellen Umgang mit genau diesem Element, ohne das alle Kunst am Ende immer nur künstlich bliebe: dem Publikum als Resonanzkörper. Oder besser gesagt: den Menschen, die das Publikum bilden und mit den Künstler*innen auf der Bühne interagieren.
Als imaginäre Grösse ist das Publikum also durchaus anwesend während dieser Residency im Rossstall der Kaserne Basel. Darauf deutet bei den ersten Lockerungsübungen allerdings nichts hin. Coach Steven Schoch begleitet die beiden Musiker*innen gerade mit Tai-Chi-Übungen in eine Phase der Entspannung und der eigenen Wahrnehmung von Körper und Geist.
Der «Workshop Bühnenpräsenz» soll auch die eigene Selbstsicherheit auf der Bühne stärken helfen. Schoch hat selber genug Bühnenerfahrung, im Theater, in der Musik, als Performancekünstler – die Kaserne hat er selber schon einige Male bespielt.
La Colère und Giulia Dabalà: Erstes Aufhorchen an der Demotape Clinic in Zürich
La Colère wiederum ist schon in Holland live aufgetreten, aber noch nie in Basel. Die junge Genferin mit Bündner Wurzeln väterlicherseits hat 2019 die Demotape Clinic Electronic am m4music Festival in Zürich gewonnen. Ihre erste EP Surface war damals gerade ein paar Monate alt. Zum Electro Pop ist La Colère erst relativ spät, vor vier Jahren, gekommen, und sie selber sieht sich auch deshalb noch am Anfang ihrer Karriere.
Seither ging es für «die Zornige» Schlag auf Schlag – immerhin, bis die Corona-Krise losbrach. Ihr erstes Konzert spielte sie in Genf an einem Festival und gleich vor 1 200 Leuten. Anfang 2020 vertrat sie die Schweizer Popszene am Eurosonic Noorderslag Festival in Groningen in Holland (neben u.a. Asbest aus Basel), und konnte so ihr Debütalbum La Vague gleich der internationalem Musikszene vorstellen.
Im Moment möchte sie vor allem dazulernen, meint sie im Interview. Etwa in Sachen Bühnenpräsenz, Choreographie, Kommunikation mit dem Publikum, Selbstvertrauen, überhaupt: den «Flow auf der Bühne», wie sie es nennt. Dazu hatte sie nach der Arbeit mit Steven Schoch dann am Freitag mit der charismatischen Westschweizer Electro-Pop-Grösse Flèche Love nochmals Gelegenheit.
Neben ihrer Electro-Act La Colère arbeitet die Genferin teilzeit als Videoproduzentin. Apropos Video: Mitten im Winter ist ihr neuster Videoclip «La Plage» erschienen, et c'est comme ça – sehr eingängiger Electro Pop mit einem Schuss ins Ziel und jeder Menge Selbstironie.
Ihr zweites Album ist ebenfalls in Arbeit. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in Basel!
«War Drums»: Demo Of The Year mitten im ersten Lockdown
Auch Giulia Dabalà war als Pop-Act ein ziemlich unbeschriebenes Blatt, bevor sie im März 2020 an der Corona-Edition der Demotape Clinic am m4music Zürich abräumte. Demo Of The Year und bester Popsong für «War Drums», wow! Sogar «Glanz & Gloria» von SRF war danach im Jazzcampus zu Besuch.
Giulia Dabalà ist wie La Colère vom Projektteam auf Empfehlung der Fondation CMA zu dieser Residency und dem Workshop in der Kaserne Basel eingeladen worden. Die junge Frau aus La Chaux-de-Fonds im Neuenburger Jura ist in Myanmar (Burma) aufgewachsen und studiert seit über vier Jahren am Jazzcampus in Basel und interessiert sich sehr für «Bewegung und den Ausdruck auf der Bühne» – im Jazz sei die Bühnenpräsenz ja nicht wirklich Teil der Ausbildung, wie sie im Interview ergänzt. Steven Schoch als Coach könne ihr «eine Menge beibringen auf verschiedenen Ebenen: Bewegung, Tanz, Theaterspiel, Umgang mit dem Publikum.»
Als Background-Sängerin war Giulia Dabalà schon mit grösseren Acts auf Europa- und Kanada-Tournee unterwegs und stand auch schon vor sehr grossem Publikum auf der Bühne. Als Solo-Act mit Live-Band arbeitet sie aktuell an ihrem erstem Album, nachdem sie vor vier Jahren bereits die EP Voices veröffentlicht hatte. Die vier Songs sind einzig und allein auf ihrer Stimme und Beatboxing aufgebaut, mithilfe einer Loopstation natürlich.
Zwischen Basel und ihrer Heimatstadt pendelt sich regelmässig hin und her. Sie arbeitet in La Chaux-de-Fonds als Gesangslehrerin, sofern es die Corona-Einschränkungen zulassen. Basel hingegen ist für die junge Romande Giulia Dabalà also längst zu einer musikalischen Heimat geworden.
Vor dem Rossstall der Kaserne Basel zeigt sich nach unserem Besuch langsam und noch scheu die Sonne. Es riecht, mit oder ohne Kultur im Wort, nach einem neuen Frühling. Es ist eigentlich alles vorbereitet.
Video-Interview und Fotos: Dominik Asche.
Und nun: Basler Bands und Musiker*innen bewerben!
Der Auftakt zum gemeinsamen Förderprojekt TranshelvetiQ haben also unsere Freund*innen aus der Romandie hingelegt. Nun ist es an Bands und Musiker*innen aus der Region Basel, sich für die Residency in Yverdon zu bewerben. Der RFV Basel hat sie in das Fördertool Resonate TranshelvetiQ intergriert, diese Ausschreibung läuft bis am 7. März 2021. Die unabhängige Fachjury wird alle Bewerbungen berücksichtigen, die den Teilnahmebedingungen entsprechen. Mehr dazu gleich hier.
TranshelvetiQ, ein Pilotprojekt von Fondation CMA Nyon, L'Amalgame Yverdon, Kaserne Basel, Say Hi!, Luzern und dem RFV Basel.
Resonate TranshelvetiQ: das neu konzipierte Fördertool für Bands und Musiker*innen aus der Region Basel.