Les Reines Prochaines – Blut: God Save The Queens!
Es ist zwar gerade kürzlich ein Königinnenposten frei geworden, in Holland, aber es ist nicht anzunehmen, dass sich Les Reines Prochaines darum beworben haben. Schliesslich stehen die zukünftigen Königinnen lieber auf den Bühnenbrettern und präsentieren subversive Lumpenlieder-Tanzmusik als einen ollen orangen Thron vollzufurzen wie König Beatrix und ihr Nachfolger, Hollands bisheriger Erster Wohnwagenlenker, Prinz Willem-Alexander.
Doktor Fisch
Les Reines Prochaines haben eh Besseres zu tun. Ihr neuestes Werk Blut (in der Bühnenversion Syrup Of Life benannt) erscheint am 2. Februar 2013 und wird dann ordentlich getauft, in der Kaserne Basel, und dann auf die Strasse geschickt. 21 Songs und Hörgedichte sind auf Blut zu hören und Doktor Fisch hatte die Gelegenheit, vier davon kurz probezuhören – in der Blutplasma-Version sozusagen –, was er als blanke Ehre versteht, schliesslich konnte er seit seinem längst in Vergessenheit geratenen bz-Artikel über Les Reines Prochaines live im Palazzo Liestal anno 1993 (oder 1992) nicht mehr aktiv teilhaben an der Monarchie des Alltags. Jetzt hat er aber Blut geleckt.
Ziemlich fetziges Silver Jubilee
«Songs von eigensinniger Ironie und Logik, die an die Heilsversprechen der Heilsarmee erinnern, an Lumpenlieder, an Chansons, an Brecht/Weill, an Cabaret und Burleske, Folk und Volksmusik, Rock, Punk und Pop», so definiert die All-Woman-Band ihre Musik, die seit 25 Jahren unverdrossen dargeboten wird. Dass sie den Dreh raus haben – wie Ironie auch grooven und Feminismus auch kompliziert sein kann, und wie Punk nicht immer einen Iro auf dem Kopf, Nieten auf der Brust und ein Bier in der Hand haben muss – das haben sie längst bewiesen.
Die Heilsarmee würden wir hier aber gerne streichen, das Lumpenproletariat etwas in Frage stellen und Cabaret nicht allzu wörtlich nehmen. Tatsächlich sind die vier Vorhörsongs musikalisch ziemlich fetzig und im Wortlaut praktisch 1:1 druckfertig für die nächste Ausgabe von «Texte zur Kunst». Doch: nichts hier zur Bildenden Kunst und Multimedia, was die vier Königinnen ja auch noch machen, sondern eben zu Musik und Spektakel am 2. Februar, rechzeitig zum Silver Jubilee der vier Adeligen. God Save The Queens!
Schrilles und mal stilles Gesamtkunstwerk
«Die Musik ist mediale Basis, alles kreist um sie», schreiben Les Reines Prochaines über ihr Konzept. Manchmal kreist auch der Text um die Musik oder der Hut um die Sonne; und live kreisen die Königinnen um sich selber und die Mikrophone. Man geht da gerne hin, weil Les Reines Prochaines die Bühne professionell als schrilles und auch mal stilles Hau-drauf-Gesamtkunstwerk bespielen und mehr Minderheitenzielgruppen im Fadenkreuz haben als die CIA. Doch zurück zu den Songs, die warten immer noch.
Les Reines Prochaines decken in den vier Songs schon weite Teile ihres kreativen Tuns ab: Der Lobgesang auf den Kreiselverkehr, den es bei Bandgründung 1987 in der Schweiz noch gar nicht gab (und in Deutschland immer noch nicht), spielt im Klezmergewand zum Tanz. «Kreisel sind lustig, Kreisel sind rund, Kreisel sind wunderbar, Kreisel sind gesund» heisst der fröhliche Refrain von «Kreisel». Kreisel ist also Kunst, und was ist dann genau Kunst ...? Fragt der Song nicht wirklich, aber irgendwie doch: Kunst ist Kreisel? Antworten darauf im Konzert, an der nächsten Art Basel oder beim Kantonalen Strassenbauinspektorat.
Der Identitäts-Tango
«Bliss» wiederum ist eine sambaschwangere Rocksteady-Nummer, in warmen Klängen und Nachhilfeunterricht-Spanisch und Englisch vorgetragen. Der Song zeigt orgelig frisch die musikalischen Qualitäten der Band, die eigentlich schon immer Minimal gespielt hat, einfach andersrum. Schliesslich: Theorie und Praxis verspricht dann die Nummer «Identität», ein eigentlicher Identitäts-Tango. Die philosophische Frage, was Post(moderne) in Pop(kultur) oder Pop(kultur) in Post(moderne) zu suchen hat oder nicht, ist hochstehend anstrengend, aber logisch. Verhandelt werden in «Identität»: das Menschsein, Normen und Abweichungen, Gewissheit und Terrain, die blöde Nation und das wünschenswerte Verschwinden des Egos. Irgendwo heisst es «nur Mensch zu sein, das können wir uns nicht leisten» und das ist dann doch ein Satz, der hängenbleibt im Teig des Denkens.
Das Leben ist keine Wursttheke, Baby!
Ja, das Leben ist eben keine Wursttheke, Baby! Egal. Les Reines Prochaines zeigen Bein, Herz und Verstand gerne her, nur allzugemütlich soll es dann doch nicht werden. Und genau dafür – und wir reden nicht nur über die satten Bewohnerinnen und Bewohner der Comfort Zone Mitteleuropa, sondern über das globale Kaputt – genau dafür dankt man Les Reines Prochaines schliesslich und immerdar. Auch wenn man nicht immer einer Meinung ist oder eh alles falsch versteht. Als Mann. Als Arzt. Und auch wenn man noch nicht alle Lieder der Blut-Platte gehört hat. «Ich bin in einem Alter wo ich nie weiss ob es das letzte Mal ist» oder «Sonntag ist Bratentag» oder «Lick Me With Your Mothertongue» (alles Titel von neuen Songs) hätte man gerne schon gehört vor den andern.
Und so sind Les Reines Prochaines eben doch die wahren Königinnen, denn, im Ernst oder auch in der Hedwig: Im Vergleich zu den schicken Outfits der Reines Prochaines sieht Noch-Königin Beatrix der Niederlande mit ihren 1984 aus der Konkursmasse der Schwetzinger Firma Modische Damenbekleidung Rothfuß Erben & Krentz Söhne & Co. KG geretteten Kostümen doch immer etwas adelverklemmt photogeshopt schäbig aus. Bei Les Reines Prochaines dagegen wird geschwitzt, gerackert, posaunt und über Sex geredet. In diesem Sinne und auch sonst: Vive Les Reines Prochaines und das Blut in allen Adern!
Les Reines Prochaines – Blut
(Reines Prochaines, Unrecords, Wien) ist am 2. Februar 2013 mit einem Beitrag des RegioSoundCredit erschienen und ist auch über iTunes digital verfügbar.
Les Reines Prochaines sind: Fränzi Madörin, Muda Mathis, Michèle Fuchs, Sus Zwick, Barbara Naegelin sowie Sibylle Hauert als Gastmusikerin auf der CD Blut. Produziert und Schlagzeug gespielt hat David Kerman, co-produziert hat der allmächtige Oliver Mauermann (Guz, Aeronauten).