L'Arbre Bizarre – Distorted Reflections
Bizarr – ein Wort, das einfach gut klingt und wohl deshalb immer inflationärer in den Medien auftaucht. Alles, was nicht ganz konform scheint, wird schnell als «bizarr» auf die Reise geschickt. Dabei meint bizarr etwas wirklich sehr Absonderliches, Verzerrtes. Zum Beispiel surrealistische Kunst, ausserordentlich seltsames menschliches Verhalten (nordkoreanische Diktatoren, Popstars im Fleischgewand) oder höchst sonderbar agierende Tiere und Pflanzen (Schleimpilz, Venusfliegenfalle). Bizarr – der grosse Bruder von skurril, der beste Kumpel von grotesk. Und bizarre Bäume gibt es auch, sogar im Rockgeschäft.
Doktor Fisch
Kunstvoll in Szene gesetzte Düsternis
L’Arbre Bizarre aus Basel machten schon Ende 2012 auf sich aufmerksam, als ihr 8-mm-Video «Bus Driver» von ihrer ersten EP Sixteen Minutes erschien. Im digitalen Zeitalter mit der guten alten 8-mm-Kamera ein Schwarz-Weiss-Musikvideo zu drehen, das ist doch ziemlich ... skurril. Aber nicht unbedingt bizarr.
Nahe an bizarr ist aber das neue Video «12 | 15 | 67 (Silver Bridge)» von L’Arbre Bizarres neuer EP Distorted Reflections. Das Schwarz-Weiss-Video zeigt etwa Aufnahmen eines toten Ferkels, dessen Verwesungsprozess gefilmt und im Zeitraffer gezeigt wird. Oder grotesk verzerrte Gesichter, feuerspeiende Stahlöfen und andere verstörende Gruseligkeiten. In der Tat: bizarres Zeug, surrealistisch, dunkelschwarz, befremdend. Aber auch sehr kunstvoll in Szene gesetzt und montiert (Video: Robin Trachsel) und mit dem treibenden, düsteren und verstörenden Song als audiovisuelles Gespann sehr gelungen. Auch andere Songs wie «Revolve» oder «Man In A Field» erzeugen einen diskreten Sog, mal roh, mal flirrend, mal lyrisch beschwörend, mal mit Störsignal. Schön, ist Rock noch nicht ganz tot, in Basel und anderswo.
L'Arbre Bizarre wühlen tief
Seit knapp vier Jahren sind die fünf Musiker – Jünger Rimbauds und Joy Division im Geiste – nun unterwegs, waren schon an der RFV DemoClinic aufgefallen und haben auch über Basel hinaus weitere Live-Erfahrung eingefahren. Auf den schnellen Schock-Effekt oder eine allzu inszenierte Schleuderfahrt durchs zappendustere Endzeitalter haben es L’Arbre Bizarre nicht abgesehen. Dafür wissen sie kreativ mit dem Wechselspiel von Bildern, Lyrics, Dynamik und Power umzugehen, für die Postpunk, Wave, Gothic, Shoegaze und Alternative Rock ja immer noch als Kulisse taugen. Oder wieder.
Aufgenommen wurden die sieben durchwegs fesselnden Songs auf Distorted Reflections im 1000 W Studio von Navel-Chef Jari Antti in Laufen. Das merkt man, das gibt Raum, das treibt vorwärts, das gibt dem Sound die nötige Dringlichkeit. Diese junge Band geht ambitioniert und geschickt mit den Räumen, Echos und Schwingungen um, die abseits des allzu öde und berechenbar gewordenen Glitzer-Pop-Palasts genauso existieren wie etwa Bilder des übergeschnappten Wahnsinns, die uns tagtäglich aus fernen und nicht so fernen Ecken der Welt auf die mobilen User-Gerätschaften frei Haus geliefert werden.
Gut, dass sich L’Arbre Bizarre damit auseinandersetzen, dass nicht der ganze Planet eine Comfort Zone ist und Kunst nicht von Geld(machen) kommt. Gut, dass L’Arbre Bizarre das anspruchsvoll umsetzen und hoffentlich auch weiter tun. Ein Baum muss schliesslich wachsen und stark werden und Mauern sprengen – und nicht nur blöd rumstehen und warten, bis sich jemand an ihm aufhängt oder einen Liebesschwur in die Rinde ritzt.
Doch, L’Arbre Bizzare wühlen tief und finden Kunst. Dass der Spannungsbogen zwischendurch mal schlaffer wird oder das Viel-Wollen zum Zuviel wird – das wird die Band zu verbessern wissen. Der Baum ist zwar bizarr, aber noch jung.
L'Arbre Bizarre – Distorted Reflections
ist am 4. Mai 2014 als CD und digital erschienen und über BandCamp erhältlich.
L’Arbre Bizzare sind:
Kevin Seiler (voc, git, syn), Andri Mahler (git, back voc), Florian Denzinger (git, syn, vl), Sven Seiler (bs) und Thomas Bachmann (dr).