Brandhärd – Zucker-brot & Peitsche: Die Fantastischen Drei

Reviews

Brandhärd sind ein Phänomen. Established 1997, Trio, Rap aus Baselland, mit Street & Family Credibility, mit Charts-Platzierungen und Muttenzerkurve-Dauerkarte. HipHop mitten aus der Mitte, auch für die Ränder. Eine Institution mit Respekt.

Album Review

Brandhärd, die Rap- und Musik-Connaisseurs, waren nie weg und kommen trotzdem zurück. Mit neuem Album. Und alles funktioniert prächtig, obwohl der Härd hart bleibt: No compromises, Sir! Wie machen die das?! fragt Doktor Fisch und antwortet gleich selber in 100 Zeilen (=Bars).

Die Geschichte von Brandhärd hat Rapper Fetch mit DJ Johny Holiday und Fierce (Beats, Rap) gleich selber im ersten Vorab-Song des neuen Album Zuckerbrot & Peitsche runtergerattert: «100 Bars» heisst der Track, also 100 Zeilen Biographie der drei beständigsten und wohl auch erfolgreichsten Homies aus der Basler HipHop-Szene. Es sind zwar etwas mehr als 100 Zeilen geworden, aber in 17, 18 Jahren sammelt sich einiges an im Rap-Schrank. Vor allem bei Brandhärd.

Brandhärd © ca. 2003 WB-Tal/Archiv RFV Basel
Brandhärd © ca. 2003 WB-Tal/Archiv RFV Basel

Aus Teenager-Rotznasen werden Mittdreissiger

Ausgangspunkt der Brandhärd-Story: Ein Luftschutzkeller in Schönenbuch, 1997, an der alleräussersten Ecke des westlichen Baselbiets mit der längsten und schönsten Grenze zu Frankreich. Hauptakteure: Drei «Teenager-Rotznasen». Danach: Plattenvertrag bei WB-Tal Records, Durchbruch mit der EP Noochbrand (2003), fünf Alben, Festivals, CH-Tourneen, grosser Plattenvertrag, Charts-Platzierungen, fünf FC-Basel-Meistertracks mit ihrer HipHop-Crew von TripleNine ... und eine nur sporadisch unterbrochene Funkstille seit dem letzten Album Blackbox (2010). Aktuelle Haltestelle nun: Zuckerbrot & Peitsche, 2015, Spätsommer. Drei Mittdreissiger, Fetch, Fierce und Johny Holiday, Basel’s finest, kein bisschen müde, im Gegenteil: rast- bis atemlos Let's go.

How to make some noise
Am 18. Juni 2015 ging «100 Bars» auf YouTube online, knapp drei Monate vor Album-Release. Am 17. August legten Brandhärd mit dem «Umarm sie»-Video nach – ein totaler Hingucker, mit 360°-Hightech-Kameras gefilmt (wieder unter der Regie von Sam Flückiger, der alle bisherigen Brandhärd-Videos gedreht hat). «

Umarm sie» ist zuerst eine Faust gegen Stress, Alltagshamsterkäfig und Verarschung im Job, «als wären wir Soldaten und diese Welt nur noch Datenschund». Dann aber folgt eine sanfte, einfühlsame und am Schluss fast schon zärtliche Portion Rap & Music. Eine Nummer, wie sie in der Mundart-Schweiz wohl nur Fetch glaubwürdig schreiben kann. «Alles okay, jeder Tag ist ein Geschenk» rappt er, und «wir feiern unser Leben, unser Leben das ist tödlich».

Brandhärd © Tim Lüdin 2015
Brandhärd © Tim Lüdin 2015

Einige Tage später hat Marco Streller (FC Basel, Legende) die allererste Brandhärd-CD geschenkt gekriegt, standesgemäss auf dem Trainigsrasen (das Video gibts auf Brandhärds Facebook). Am 11. September ist das Album Zuckerbrot & Peitsche dann endgültig draussen. Also nicht ausgeschieden, sondern in den Läden. 15 Tracks stark (oder 18 in der Deluxe Version). Veröffentlicht wird es in Zusammenarbeit mit Knackeboul Entertainment. Und mit Knackeboul gehen Brandhärd dann auch auf Tour. So macht man das.

Keine Gangster, sondern Denker (2003/2015)
Wer sich «Noochbrand» von 2003 nochmals anhört, entdeckt einige Parallelen zum neuen Song, vom Piano-Intro über die Lyrics bis zur Attitude. «Festet mit uns, als gäbs keine Zukunft. Der ‚Härd’ steht für Schmerz, weil er sich damit auskennt». Auch das aufziehende Internet-Zeitalter hat hier bereits seinen Platz: «Du wirst mit Bildern bombardiert, schneller als die Augen mithalten, so viel Daten ...» Natürlich waren Brandhärd 2003 mehr Party, mehr Jungs, mehr Sturm und Drang – aber kein Ghetto, keine Soldaten der «Bitches und Gangsters»-Rap-Armee, sondern: «Dichter und Denker». So stehts gerappt in «Noochbrand».

Zurück in die heutige Zukunft, zu «Umarm sie»: Auf den ersten Moment wirkt das neue 360°-Musikvideo, das der geneigte Betrachter rundum selber steuern kann, einfach als technische Spielerei (siehe unten, Steuerung im Video links oben). Doch auf den zweiten Blick merkst du – Betrachter, der du nun mittendrin bist im Song – wie genau sich die drei von Brandhärd umschauen, bevor sie sich an Text und Musik, an Bars und Beats und Cuts, an Themen, an sich selbst im Jahr 2015 heranmachen. Und dann genau das benennen, was brennt. Und dies ohne die weitverbreitete Angst im Rap-Geschäft, uncool oder weich rüberzukommen. Themen in diesem Fall: Freunde, Familie, Verletzungen, Egoismus, Einsicht und ja – Liebe. Umarmen als Willkommenskultur.

Und wenn «Umarm sie» vorbei ist, merkst du, wie nah der Song zum Beispiel an «Schänke dir mis Härz» dran ist, musikalisch, lyrisch, Feeling. Fetch benennt Werte, seine Werte, doch es könnte sein, dass es auch die Werte, die Schicksale von vielen anderen Menschen sind, die sich plötzlich um  m e h r  als nur um sich selber kümmern müssen (Familie etc.). Und manchmal von der Angst befallen werden, darin komplett verloren zu gehen. That’s just the way it is, um es mit Bruce Hornsby zu sagen (das Piano-Intro in «Umarm sie» erinnert sehr an Hornsbys Intro im Song «The Way It Is»). However.

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«Wenn Rap tot ist, dann lieben wir halt einen Zombie»

Zum Album, Kurzdurchlauf: Brandhärd eröffnen mit dem Track «Handschrift». Die Ansage pumpt dick und stellt gleich klar: «Der Szene sind wir zu weich, den (Radio)Sendern zu hart». «Machete» bringt den Funk in die Disco, ein selbstbewusster Frischmacher mit fast schon volksliednahem Refrain. «Know Who I am» wummert gleich mit der Axt ins Wohnzimmer, bleibt textlich etwas fahrig hängen. «Kennedy» kommt zuerst ohne Beats aus, nur Rap und Piano, bevors losgeht mit der tödlichen Line «Wenn Rap wirklich tot ist, dann lieben wir halt einen Zombie». «Digital Drive By» zuckt im P-Funk-Anzug übern Asphalt und fordert «back to basics, Technik ist mein Feind, ausser wenn sichs reimt».

Ein cooler Old-School-Beat führt den nächsten Track spazieren: «Ohni Rap» («wär ich weiter gekommen im Job», haha! Umgekehrt geht auch). In «Bluetigi Küss» liegt etwas zu viel Zuckerguss über dem Sound. In «Bluetdruck» ist die Triplenine-Crew zurück im Proll-, Rasen- und Reimgeschäft. «Überfall» ist Brandhärds Absage an das verbreitete Crowdfunding: «Ich bin Rapper, kein Bettler». Und im Song «Kalt wie e Sixpack» gibts Haue für HipHop-Feiglinge – höchstpersönlich von Fetch, SimonAyEm (Triplenine) und Semantik (aus Zürich), der mit der knackigen Zeile glänzt: «Ich bin Original, hast du Plan von mir, ich bin Dichter und Denker, geh hart auf Papier».

Brandhaerd © Tim Lüdin 2015
Brandhaerd © Tim Lüdin 2015

Zwischen Pathos und Party, Schnaps und Milchschoppen

Mit «Wunderbares Gift» geht das musikalisch frische, gut sortierte und fein getunte Album dann allmählich zu Ende, und mit Liebe und Gift, Schnaps und Exzess kracht die Nacht noch einmal zusammen mit den Erinnerungen an jene Zeit, als man 17 war. Und heute? Einen draufmachen! Auszeit, Baby! «Alles ist egal, wir treiben und treiben». Und der Beat läuft in die Nacht hinaus und kommt nicht mehr zurück, der verdammte Bastard.

So sind sie, die Fantastischen Drei, zwischen den Fronten, aber ganz bei sich. Nicht hin- und hergerissen, sondern an beiden Polen zuhause: Zwischen Pathos und Party, zwischen Schnaps und Milchschoppen, Familiensofa und Fussballstadion, zwischen Zweifel und Zombie, zwischen Melancholie und Machete, Scharfsinn und Weichzeichner, zwischen MILF und Homies, mit Faust und Kuss. Ausser ihnen macht das ja keiner, also.

Waren das 100 Zeilen?
Ein paar mehr? Scheiss drauf. Geht auch kürzer: Der Härd ist zurück, mitten unter uns. Wo soll er denn sonst sein.

Brandhärd – Zuckerbrot & Peitsche (Cover)
Brandhärd – Zuckerbrot & Peitsche (Cover)

Brandhärd – Zuckerbrot & Peitsche

(Knackeboul Entertainment) ist am 11. September 2015 als CD und digital über iTunes und igroove.ch erschienen.

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