Serafyn – Quantum Leap: Von der Demut, der Egalität und der Klarheit
Doktor Fisch war über die Fasnachtstage in den südlichen Gebirgswäldern auf Bärenjagd, nun ist seine Praxis wieder geöffnet und die Felle hängen ebenda schön an der Wand. Bevor es tiefergelegt in die Nächte des BScene Clubfestivals Basel abgeht, hier ein paar viele Worte über Musik und Worte, die an der BScene getauft werden: Der grosse musikalische Geheimtipp, Serafyn, legt mit Quantum Leap die erste EP vor: Sieben Folk-Popsongs, die ins Ohr reingehen und nicht wieder rauskommen. Schon im Sommer 2014 hatten Serafyn mit dem Song «Take To The Skies» für Freude und Staunen gesorgt. Der Doc, der alte Punk, hat rein gehört und staunt.
Doktor Fisch
Willkommen in der wunderbaren Welt von Serafyn, einer jungen, fünfköpfigen Band aus Basel, die sich mit zwei Cellos, Kontrabass, Gitarre, Perkussion und drei weiblichen Stimmen aufgemacht hat, ihre Songs und ihre Botschaft in die Welt zu tragen. Zum Beispiel nach Port Saïd in Ägypten (wireless natürlich), und dort einen jungen Mann namens Mohamed Luther King erreicht, der den Song «Take To The Skies» mit dem Kommentar «Perfect!» versieht. Und da bei SoundCloud sekundengenau kommentiert werden kann, hier die Stelle, die Mohamed besonders gefällt: «Tear down some fences on your way out / become the person we adore / oh we adore you» (Reiss ein paar Zäune nieder, wenn du raus gehst /werde der Mensch, den wir verehren / oh wir verehren dich/euch».
Zwischen den Generationen
Schön nicht? Wobei: Botschaft ist das falsche Wort. Serafyns Folksongs sind ja keine Protestlieder, kein we shall overcome some fuckin’ day. Aber sie erklären sich mit vielem auf der Welt nicht einverstanden. «Take To The Skies» richtet sich zuerst direkt an die Älteren, die sich über die Jugend beschweren, die nichts zustande bringe. «It's not the youth which isn't working / it's just your ideals growing old /it's not a whole lost generation /much more your life which is on hold.»
Die alt gewordenen Ideale der älteren Generation können links, bürgerlich, krude oder sonst was sein. Jedenfalls: hier kommt von der jungen Band kein shut the fuck up!-Ruf ans Gammelfleisch, sondern ein freundlicher Ratschlag, doch mal über die eigenen verpassten Jahre und verblassten Ideale nachzudenken.
Über 150 000 haben «Take To The Skies» auf SoundCloud gespielt, über 4 200 haben ihn geliked. Sehr viel für eine unbekannte Band, ohne Platte, ohne Promotion, ohne grosse Live-Präsenz. Und genau deshalb tut es so gut, auch. Und darum ist der Song nun auch auf der EP drauf.
Die souveräne Ausnahme
Auch der Song «Quantum Leap», der dem knapp 30-minütigen Erstlingswerk von Serafyn den Namen gibt, beharrt auf dem offenen Denken, dem Vermitteln: «Niemand ist einfach zu jung / um eine hellsichtige Idee zu haben / Niemand ist einfach viel zu grau / um sich etwas Neues einzustellen», heisst es gleich zu Beginn. Serafyn ergreifen also Partei – für beide. Und genau das – dargebracht in der reinen, durchkomponierten Aura der vermeintlichen Unschuld – genau das macht die Band Serafyn zu der souveränen Ausnahme in der Liga der Folk-Pop-Bands mit ihren oft selbstverliebten, pseudo-traurigen und doch so trendigen Protagonisten. Ein Bart macht noch keinen Propheten. Eine Gitarre noch keine «Stimme einer neuen Generation». Serafyn machen ihr eigenes Ding und wer mitgeht, gehört dazu. Egal wie viele.
Meine Lieblings-Introzeile findet sich im ersten Lieblingssong, der «The Netherlands» heisst, übersetzt: «Würdest Du weiter mit mir gehen / wenn ich tausend Verbrechen hätte / in meiner Tasche, da unten wo / die Antwort lügt.» – Also ich würde.
Serafyn – so leicht die Musik, so unbeschwert die Stimmen schweben – schaffen etwas Seltenes: Sie sind komplett unverkennbar in Stimme, Harmonie und Komposition, genauso wie Simon & Garfunkel*. Oder Cocorosie. Agnes Obel. Passenger. Of Monsters And Men. Name it. Plus: Serafyn bringen ihre Musik und Texte in einer Art Demut dar, die jedoch die gleiche Demut einfordert. Serafyn schaffen: Egalität.
Genau dazu gibt es Songs, ganz egal ob Techno, Metal, Blues, Folk, Punk, Pop: Lieder sind Trost, Freude, Gleichheit, sie halten inne im einzigen Moment. Und manchmal wollen die Lieder, dass etwas passiert. Mit den Menschen, im Inneren, nicht in einer plakativen Revolution oder blöden Götteranbetung. Serafyn schaffen eine ruhige Klarheit, die uns – bei dem überhitzten Rotieren des unübersichtlichen Planeten – nur gut tun kann.
(Langatmiger Einschub, kann man locker überlesen) Wir müssen trotzdem kurz zurückkommen auf Simon & Garfunkel. Manche mögen die nicht – egal. Es ergab sich, dass «The Sound Of Silence» 2011 einmal mehr ins Gedächtnis zurückkam, der Song also, ohne den der Film «Die Reifeprüfung», ohne den Dustin Hoffman niemals so lange in Erinnerung geblieben wäre. Oder umgekehrt? – Egal. Jedenfalls: Paul Simon hatte den Song 1964 nach der Ermordung von John F. Kennedy geschrieben, im Alter von 22 oder 23 (im gleichen Alter notabene, in der Serafyn-Texterin Anna Erhard «Take To The Skies» geschrieben hat). Allerdings ging der Song völlig unter, niemand schmuste dazu, die Platte floppte, Simon & Garfunkel gingen auseinander, bis – man kann das mittlerweile auf Wikipedia nachlesen – ihr Produzent den Song ohne das Wissen der Autoren neu arrangierte, Schlagzeug dazu aufnahm und ihn zwei Jahre später, 1966, als Single neu lancierte. Erst dann, und wenig später mit der unvergesslichen Pool-Szene im Film «Die Reifeprüfung» (1967) wurde «The Sound Of Silence» zum Hit. 2011 dann sang ihn Paul Simon, mittlerweile 73 Jahre alt, ausserplanmässig zur 10. Gedenkfeier von 9/11 am Ground Zero in New York (geplant war «Bridge Over Troubled Water»). Es ist etwas vom Ergreifendsten, was ich je in der westlichen Popmusik gehört habe. Der Song fängt in seiner brüchigen, stockenden, improvisierten Darbietung das Drama ein, das damals über die Welt gekommen ist, nicht nur in New York, nicht nur bei 9/11, sondern überall. Ich weigere mich zu glauben, dass Paul Simon etwas anderes vor Augen hatte, als er «The Sound Of Silence» sang, allein, klein, alt und demütig vor dem Leid, das die Menschen über die Menschen bringen, überall auf der Welt. Alles, was er anzubieten hatte, war dieser Song. Das wars. The words of the prophets are written on the subway walls. Er meinte und meint uns.
Pop hat gerade angefangen, der Politik den Rücken zu kehren. Weil Politik keine Lösungen mehr hat, ausser die zur eigenen Machterhaltung. Das merken immer mehr Menschen. Als der erste Dichter eine Gitarre zur Hand nahm, wurde die Welt erträglicher. Als der erste Politiker dazu applaudierte, wurde die Welt, wie sie heute ist: ungut. Ende der Durchsage.
Paul Simon hat über das Songtextschreiben etwas gesagt, nämlich, dass man eine wahrhaftige erste Zeile brauche, die einen in den Song(text) reinbringe, und: «You have to say something emotionally true before you can let your imagination wander.»
Ich glaube, Serafyn haben das (unbewusst) sehr souverän beherzigt in diesen ihren ersten sieben Songs, die alle eine starke erste Zeile haben. Diese Songs werden das erobern, was an Wahrhaftigkeit von dieser Welt noch übrig ist. Zum Beispiel eben Mohamed Luther King in Ägypten. Oder dich.
Serafyn – Quantum Leap
(Czar Of Revelations/Czar Of Cricket) ist in der Schweiz am 6. März 2015 mit einem Beitrag des RegioSoundCredits als CD und digital erschienen (International: 6. April 2015).