Zatokrev – Silk Spiders Underwater: Die Entstehung einer neuen Welt.
Zatokrev aus Basel starteten 2002 mit Doom und Post Metal. Mit dem neuen Album Silk Spiders Underwater legt die Band einen hochspannenden Mystery Thriller vor, der die Genre-Grenzen der Metal- und Rockwelt weit hinter sich lässt. Post-alles. Zatokrev zementieren damit ihren Ruf als markanteste Band der Region, des Landes fast, die in ganz Europa Konzerte spielt. Bald gehts wieder auf Tour. Doktor Fisch meldet sich zuvor aus der Rehab und fragt: Do you Doom, Dude?
Doktor Fisch
In den allerbesten Momenten – und davon gibt es viele auf diesem Komet von einem Album – erinnert Zatokrevs sintflutartige Musik in ihrer Expressivität, Kraft, Dichte und ihrem Konzept sehr an diejenige der frühen, furiosen Young Gods. Die Energie, die Zatokrev aus ihren erdigen Katakomben heraus auffährt, war schon immer sehr körperlich und sakral. Doch mit Silk Spiders Underwater hieven die vier Basler noch ein paar massive Steinbrocken mehr auf ihre doomige Wall of Sound, established 2002.
«Metal x Underground x Rock»
Aber weder aufgesetzte Brutalität (Black Metal) noch technischer Hochleistungssport (Deathcore, Metalcore) noch dicke Muskeln (Thrash Metal) sind Zatokrevs Ding. Sondern der packende, hypnotisch-dichte Sog aus Sound und Lyrics. Silk Spiders Underwater – bereits das zweite, weltweit beim britischen Top-Label Candlelight Records erscheinende Album – ist eine der souveränsten Platten aus der «Metal x Underground x Rock»-Welt der Jetztzeit, und ein mysteriöses Konzeptalbum obendrein (ein zweites soll 2017 folgen). Acht Songs nur, aber keiner unter sechs Minuten und der letzte gar voll auf die Zwölf (Minuten).
Metal: Stillstand?
(Doch kurz zum Zustand von Metal, der alten Kampfsau: Das Genre ist irgendwie an vielen Subgenre-Ausfahrten zum Stillstand gekommen und schon macht der Begriff des Post Metal die Runde im Metalluniversum. Die alten Helden des Speed, Thrash, Death oder Black Metal sind müde geworden, verrückt oder schon tot. Die einst geheimen Codes und Rituale erschöpfen sich ab und zu in aufgesetzten, peinlichen Gesten. Selbst der Zusatz «Progressive» rettet die harte Männerbund-Welt nicht mehr. Rechtsradikale und Homophobe tummeln sich im NS Black Metal, aufgeblasene Theatralik und klassische Chöre dienen einstigen Extreme-Metal-Kings wie Satyricon als Unterhaltungselement fürs Metal-Familienalbum. Sportliche Showelemente wie die Wall of Death machen Deathcore-Stadionshows zum blöden Testosteron-Jungs-Prügelding. Und beim Wacken Festival mischt sich die Schickeria mit den neuesten Tattoos unters Kuttenvolk, während das Bundeswehr Musikkorps auf der Bühne stramm steht. Armer Metal! Wenn Rock wirklich schon tot ist, dann macht sich Metal grad in der Garderobe fertig fürs Erschiessungskommando.)
Do you Doom, Dude?
Halt! Blödsinn! Natürlich erneuern sich Metal, Hardcore und Punk immer wieder und krallen sich neue Jünger und Jüngerinnen. Und der Underground lebt heute vielleicht mehr als je zuvor – oder eben wieder so wie Ende der 80er Jahre, als Earache Records in England eine neue Welle von Grindcore- und Metal-Bands auf die Reise schickte. Und die Westschweizer The Young Gods gleichzeitig mit ihrem Maschinen-Sound England eroberten.
Zatokrev mit ihren Chef-Vikinger Frederyk Rotter beherrscht viele Spielarten von Outlaw-Sounds: von Doom über Death Metal bis Industrial oder Stoner Rock, sumpfigem Sludge Metal oder neu-altem Obscure Rock. Seit 13 Jahren leitet Rotter die Band, zu der aktuell neben Bassist Lucas Löw (auch Kontrabass bei Serafyn) und Frédéric Hug (dr) seit kurzem auch Tobi Glanzmann (git) von King Legba & The Loas gehört. Und nebenbei amtet Fredery Rotter als Labelmacher von Czar Of Crickets Productions.
Doom – der Kern von Zatokrevs Selbstverständnis – benennt diese zähflüssige, schleppende Spielart des Heavy Metals, die permanent düster dräuend dem Weltuntergang zusteuert. Zatokrevs Mystery Thriller namens Silk Spiders Underwater beschreibt aber eher: Der Entstehung einer Welt. Oder deren Wiedergeburt. Nachdem ... Sie wissen schon. Zatokrevs ist also weniger Doom/Untergangs-Musik, sondern offenbart eine mystische Parallelwelt, die sich aus sich selber erschafft, in luziden Bildfetzen, in atemberaubenden Sounds. Do you Doom, Dude? Gut. Dann zur Hölle mit der Apokalypse! Scheiss auf Satan.
Es gibt keine Sonne
Nun, ich war ja noch nie bei einer Apokalypse dabei, deshalb kann ich nicht sagen, ob Zatokrev «apokalyptischen» Doom/Sludge Metal spielen, wie ihr Label schreibt. Sollte die Apokalypse aber so klingen, bin ich gern mal dabei. Silk Spiders Unterwater hört sich aber mehr nach Befreiung als nach Untergang ab, nach der verdammten Ursuppe. Die Lyrics handeln von den Elementen, Wasser und Feuer, von Himmel, Leere, Schlangen, Schädeln, Isolation, Blut, Fleisch, Phantomen und unbewussten oder urnatürlichen Vorgängen, von Verzweifelung, Flucht. «There is no sun» heisst es im Song «The Phantom». Überhaupt: Ein Wort aus dem 20. oder 21. Jahrhundert sucht man in den Lyrics von Frederyk Rotter vergebens. Wie gut das tut.
«Loom», übersetzt: der Webstuhl, kommt dem Seidenspinnen-Thema der Platte am nächsten und entpuppt sich als Epizentrum des Albums. Ein maschinenhafter Groove, ein Bass aus dem 5. UG, Gitarren wie Flugzeugmotoren, beschwörender Gesang und jede Menge Zeit. «Woven by the loom of creation / The machine of fate». Erst nach über sechs Minuten kommt «Loom» endgültig zur Sache: «Fire!» brüllt der Song und schleudert dich mit Speed in die Umlaufbahn. «Brick In The Sky» klingt fast schon wie ein Song auf «Brikks» von Combineharvester. «Discoloration» glänzt mit Psychedelic Prog Rock. «Swallow The Teeth» prügelt die Höllenhunde zurück in ihre Hütte. Und der finale Track «They Stay In Mirrors» verlässt uns erst nach 12 Minuten mit lasziv gehauchten Stimmen. Freundlichkeit kehrt ein. Oder war eigentlich schon immer da auf diesem phänomenalen Album.
Und dann schliessen die jungen Götter von Zatokrev ihr Buch mit den Seidenspinnen und der Himmel brennt. Seht es euch selbst an, wenn ihr mir nicht glauben wollt.
Zatokrev – Silk Spiders Underwater
(Candlelight Records UK) ist am 13. April 2015 weltweit als CD und digital erschienenm, im August 2015 bei Apocalyptic Witchcraft zudem als LP.