Asbest – Interstates: As best as we can

Reviews
Asbest © 2018
Asbest © 2018

Asbest, ein mieses, ein böses Material. Einst ein billiger Werkstoff und als «Wunderfaser» im boomenden Nachkriegs-Baugeschäft der Knüller schlechthin – dann ein Killer von Tausenden von Büezer- und Gastarbeiterlungen und -Existenzen. Seit 1990 ist Asbest in der Schweiz verboten. Seit genau einem Jahr ist Asbest jedoch ein «inhärenter Widerspruch im System» (Bandinfo Asbest), und ein lauter dazu. Bisher hat das Bundesamt für Gesundheit keine Warnung zu Asbest aus Basel ausgegeben.

Album Review

Wer seine oder ihre Band so nennt, schielt nicht auf die hippen Playlists der Streaming-Plattformen. Eher verpasst er der abgefuckten Wand im Bandraum noch einen Arschtritt extra. Asbest also, willkommen im Schredderreich von Robyn Trachsel (git, voc), Judith Breitinger (bs, b voc) und Jan Häfele (dr); der trotzigsten Band Basels.

Vier Songs in knapp 20 Minuten fräsen uns die Drei vor die Brust, und wer stehenbleibt und hört, hat einiges begriffen von dieser Musik und den Menschen dahinter. Ja, sie ist wütend, verzweifelt, aggressiv, laut und enorm dicht. Noise, Post Punk, Screamo. Aber sie ist auch schön. Schön für Leute etwa, die in den 90ern beim Konzert des Chicagoer Noise-Urviehs Shellac nicht weggerannt sind, schön für Menschen, die beim schnoddrigen Post-Hardcore der Washingtoner Band Girls Against Boys nicht gleich die Oma angerufen haben vom Münztelefonsprechautomaten aus, schön für Leute, die die New Yorker Band Life Of Agony mit und ohne Keith oder Mina Caputo mitreissend fanden und noch finden. Und schön für Leute, die wissen, dass Nick Cave mal blutjung bei The Birthday Party und Post Punk angefangen hatte, bevor er der unumstrittene Gentleman-Erhitzer der dunklen, aber gesunden Herzen wurde. Wir reden hier vom existenziellen Drama, gegossen in Underground-Musik.

Asbest: Robyn Trachsel live © Florian Cueni für Rockproof 2.017
Asbest: Robyn Trachsel live © Florian Cueni für Rockproof 2.017

Die Transfrau zwischen Anklage, Wut und Noise

An Gesang und Gitarre steht Robyn (Bild) ihren Mann; ihre Texte «spiegeln ihre persönlichen Erfahrungen als Transfrau in einer cis- und heteronormativen Gesellschaft wider», so das Bandinfo. Um Kritik an Projektionen geht es bei Asbest, um soziale Rollenbilder, um Normative, die unsere digital freigeschaltete Gesellschaft weit weniger begriffen hat, als es die versnobte Aufgeklärtheit der intellektuellen, ähem, Elite wahrhaben will. Anders gesagt: Sexismus. Es läuft vieles schief im normativen Wahn zum Bau des digitalisierten Glasmenschen. Und Asbest haben was dagegen.

Aber mit Anklage und Wut füllt man und frau nicht vier Songhüllen, oder wenn, dann reicht das nicht. Bei Asbest geht es auch um die Verteidigung von musikalischen Werten und einer Kultur unter der Oberfläche, und diese Werte der Subkultur sind laut und selbstentblössend und eindringlich arrangiert. Hier geht es nicht um therapeutisches Schmalspurkunsthandwerk für den Klinikaufenthaltsraum, sondern ums Ganze.

Zwischen Noise-Kreissägen und dirty Soul

«Projection» dräunt als vollgehallter Blues-Punk-Bastard in die Küchennische, wuchtig, düster und irgendwie doch funky in der Verzweiflung. «Defiance» überfällt uns als Noise-Kreissäge, findet aber schnell den vierten Gang und rockt den Staub von den glänzenden Stiefeln wie einst The Jesus & Mary Chain. Im dritten Song, «Insanity», klingt Sängerin Robyn dann fast ein wenig wie Greg Dulli von den Afghan Whigs Anfang der 90er-Jahre, genau: dirty Soul. Verzerrt und zerrissen. «So sieht es im Land zwischen den beiden Geschlechtern also aus», denkt man als Kurpfuscherarzt kurz und blöd, ohne viel nachzudenken, in den müdemalochten Feierabend hinein. Und hört dann umso genauer zu, diesem wunderbar dunklen Schmachtfetzen, der musikalisch sehr fein gespielt und produziert ist. Trotz der immensen Wand, die sich da aufbaut und dann hereinbricht, sich aber nie selber einreisst. Denn das wäre einfach.

«I exist between the lines, I live amidst two different kinds», schreit uns Robyn im vierten Song, «Interstates», entgegen. Schreie aus dem Zwischenland des Zwei- bzw. Dritt-Geschlechtlichen: Dieses Mal aber nicht als philosophisch-literarische und schwarzmetallene Auseinandersetzung damit wie auf Schammaschs herausragendem Album The Maldoror Chants: Hermaphrodite, sondern als real gelebte Existenz. Es geht in diesem kurzen, aber kräftigen Werk von Asbest um Schuld und Sühne, um Fragen fast ohne Antworten, um Kunst als Befreiung. Es geht um die Frage, etwa, woraus der Mensch gemacht ist und warum, und was er mit andern Menschen macht, die anders gemacht sind als er. Wo und wie das System dasjenige abstösst, das im System nicht vorgesehen ist und trotzdem existiert. Und was zur Hölle wir wiederum mit all dem machen, zum Beispiel mit Asbest und Robyn.

Der Betonwand ist Asbest völlig egal. Uns Menschen aber, die wir eine Lunge haben, machen Asbestfasern kaputt. Sie töten. Ausser eben jetzt: Bei Asbest, der Band mit der Musik, die so klingt, als wäre sie schon immer dagewesen und wir haben ja Ohren. Die Kunst war schon immer dafür da, den Menschen und die Schöpfung der Welt zu verstehen. Uns selber zu verstehen, verständlich zu machen. Das geht niemals ohne Schmerz, aber hinter dem Schmerz ist die Schönheit. Versuchen wirs also mit dieser dringlichen Musik – as best as we can.

Asbest – Interstates (Cover)
Asbest – Interstates (Cover)

Asbest – Interstates

(Eigenvertrieb) ist am 2. September 2017 als Musikkassette und digital erschienen. Beides gibts bei Bandcamp.