Bitch Queens – L.O.V.E.: Live fast, stay young

Reviews
Bitch Queens © Matthias Willi 2017
Bitch Queens © Matthias Willi 2017

Es scheint fast so, als hätten die Basler Bitch Queens auf ihrem neuen Album doch noch ein paar Hymnen für die Ewigkeit raushauen wollen. «R-Rated» ist so eine – die Hymne gegen Political Correctness und für die Vorherrschaft ihrer eigenen Rebellen-Gang-Codes: «A rebel soul and I own it / I like it R-rated / I love it when you fuckin’ hate it / Bitch Bitch Bitch Queen / You’re never gonna change me». Willkommen im dreckigen, wundervoll trashigen, glitzernden Universum der Denim & Glitter-Glam-Punkrock-Institution Bitch Queens.

Album Review / RegioSoundCredit

Denn ehrlich: Was sollen uns die vier 30-jährigen Typen, die sich Bitch nennen, nach über zehn Jahren Plattenmachen, durch Europa touren und Clubs und Kneipen abbrennen denn noch komplett Neues liefern? Elektronische Samples vielleicht? Ein Hair-Metal-Revival? Saxophone? Ein Duett mit Sina? – Nein, man bleibt beim one, two, three, four let’s go-Turbo-Rock’n’Roll-with-Attitude, trägt die Jeans auf Halbmast, falls die Nacht noch was Leckeres auf oder hinter dem Klo abwirft, schminkt sich die guten Manieren weg und zelebriert die ewige, gut promillegeölte Outlaw-Jugend:

«Are you a lady without a toy? / Give a shout out to the boys». Etwas bitter ist im Song «Boy Toys Of Glory» dann doch der letzte Satz: «All you gotta do: throw a a dog a bone» – wirf den alten Hunden einen Knochen hin. «I’m still a kid in a grown man’s body / I’ve got my T(urbo)J(ugend) kutte on / I refuse to grow up» («R-Rated») oder: «I’m a grown man with a teenage hard on» («Girls Girls Boys Boys»). Da macht sich das Älterwerden doch bemerkbar, oder? Doch: Live fast, stay young, könnte der Schlachtruf dieser Band sein.

Party hard superstar & fucking legend

Ist diese Teenage-Fixiertheit nun Ironie? Verweigerung? Verblendung? Image oder Parodie?
Immerhin schreiten Melchior Quitt (lead voc, lead git), Marcel Colomb (bs, back voc), Harry Darling (dr, back voc) und Daniel Schönenberger (git) stets in voller Turbojugend- und Bitch-Queens-Nieten-Jeansmontur auf die Bühne und weigern sich konsequent, T-Shirts oder ähnlich unnützes Stoffwerk unter den offenen Denim-Jacken zu tragen.

«Naked Or Denim» heisst deshalb die zweite Hymne auf L.O.V.E. Und die Slogans lassen keinen Zweifel an der Do-or-die-Haltung dieser Vollgas-Combo: «He’s a hero of the night / That dude ist made of alcohol / ... / Naked or denim / ... He’s a party hard superstar / That dude is in the Turbojugend / And a fucking legend».

Nochmals: Funktioniert das BQ-Modell noch, nach über zehn Jahren? Diese lustvoll bis derbe Provokation «gegen die neue Biederkeit – für mehr laute Selbstbestimmung»? Dieses Image, das auch das eigene Scheitern verspottet? Funktioniert das, mit Songs, etwa über Gummipuppen («Polymeric Lover»)?

Bitch Queens © Matthias Willi 2017
Bitch Queens © Matthias Willi 2017

Immer für einen Ohrwurm gut – oder zwei ... oder drei

Würde es vermutlich nicht, wenn die Band neben Selbstironie nicht immer auch ein paar Salven gegen das Establishment abfeuern würden. Etwa im Opener «Anti-Social» (Video unten), der eine der miesen Figuren zugespitzt skizziert, die durch unsere Gegenwart marschieren, anti-sozial, egoistisch, menschenverachtend («You are the cockroach underneath my foot / Never saw you there / ... / Go fuck the world, leave me alone / Anti-social to the bone». Satire? Oder einfach ein weiterer Hit! – Oder in «Collateral Damage», wo die Reichen die Panzer losschicken, um den Pöbel zu überrollen. Hören wir da Fatalismus? Angst gar?

Und würde es vermutlich auch nicht, wenn die Band musikalisch nicht immer wieder den einen oder anderen Ohrwurm aus dem Schminkkästchen zaubern könnte. «Deadbeat Generation», zum Beispiel, startet gleich mit dem Refrain und erinnert schön an das unsterbliche «Neat Neat Neat» von The Damned. Schon wieder ein Hit.

Andere Songs stehen in der Stinkefinger-Tradition des skandinavischen Death-Punkrocks (Turbonegro, allen voran natürlich, oder Backyard Babies, Gluecifer). Immer aber: Volle Power, 77 Punkrock, sexgetriebener Rock’n’Roll, keine Balladen, 11 Songs in 33 Minuten. Das Zielpublikum eines Bitch-Fests möchte sich schliesslich kein Weltschmerz-Gejammer beim Fencheltee anhören (dafür können sie sich bei Doktor Fisch einen Termin geben lassen). Geht mit ihnen oder stirbt! Aber zahlt vorher noch die nächste Runde.

bitch-queens-2017-l.o.v.e.-cover-backside

Techno Is Dead – Lemmy nicht

L.O.V.E. ist wieder aus einem Guss, sehr sorgfältig eingespielt, mit einigen harmonischen Elementen aufgebuttert, mit Mitsing-Chören ausgestattet, sehr, sehr (zu?) sauber produziert und gemischt in den hauseigenen Lipstick Studios. Dann in der Echochamber von Dan Suter gemastert und insgesamt – ja doch, ziemlich Pop im Punkrock. Etwas griffiger, direkter, eckiger oder schweinekramiger hätte auch gut ins Frühlingsangebot gepasst, findet jedenfalls der Doc.

Bleibt der letzte Song, «Techno Is Dead», die lange vermisste Antwort auf das ewige Rock- oder Punk-Is-Dead-Gelaber – mit einem lustigen, frenglischen Telefonmitschnitt aus einem Club in der Romandie. «We are the children / Of the digital revolution» heisst es im Song, der eigentlich eine schöne Single abgegeben hätte. Rock’n’Roll gegen Techno! Könnte man sogar einen Techno-Remix machen lassen.

Doch: Natürlich – und dafür steht L.O.V.E. vermutlich am allermeisten – ist überhaupt nichts tot, weder Techno noch Rock noch Lemmy noch Punk noch Vinyl noch die Queen. Wenn die artigen, gesunden Funktionalbürger vom getracktem Jogging, vom klimatisierten Büro oder vom Meeting mit Power Food nach Hause kommen, die elektronische Agenda für die blendende Zukunft fertig gewischt haben, während der Rollladen App-gesteuert und lautlos in die Nachposition runtergleitet, dann, ja dann .... startet die Party in den Nischen da draussen und dauert bis zum Morgengrauen.

Bessere Guides durch die nächtlichen Sündenpfuhle des gottlosen Westens als die Bitch Queens kann man und frau sich dann nur schwer vorstellen. Was ich mir aber vorstellen könnte für diese Band: Noch etwas lockerer zu werden. Etwas mehr Risiko bei Songwriting und Videodreh – es muss ja nicht bei Hair Metal enden oder vor dem Haftrichter.

L.O.V.E. – das Album, das nur zufällig genau so heisst wie Züri Wests Rückkehr ins Geschäft – schliesst nahtlos an Kill Your Friends an, ist von A–Z in DIY-Manier entstanden (wie übrigens alle Europa-oder gar Japan-Tourneen auch) und hat wieder drei Hits zu bieten: Was – bei der flauschigen Arschspalte des Propheten – brauchen wir mehr?

Okay, vier Hits.

Und noch was: Geht bei dieser Band etwas in die Hose, dann ziehen sie die Hose eben aus und rocken einfach weiter. So läuft der (Hosen)Laden.

Das Geheimnis der Bitch Queens ist, dass sie es einfach tun. Hoffentlich noch lange.

Bitch Queens – L.O.V.E. (Cover)
Bitch Queens – L.O.V.E. (Cover)

Bitch Queens – L.O.V.E.

(Lux. Noise Records, NonStopMusic CH) erscheint am 28. April 2017 als LP, CD und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit. In den USA erscheint das Album als Lizenz bei Savage Magic Records, in Spanien bei Ghost Highway Recordings.

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