Levo Rimed – 4057: Der zornige Basler Rap-Poet, Hüter des Thug Life
Manche Menschen brennen gar nicht; die meisten brennen an einem Ende; wenige an beiden Enden. Levo Rimed, der Kleinbasler Rap-Krieger, hat irgendwo tief in sich drin noch ein drittes Ende gefunden und angezündet. Und so brennt er, ohne Unterlass, oben, unten, irgendwo tief innen. Während andere einen Spliff drehen, spuckt Levo Rimed 1 000 Silben in die fiebrige Gasse. Dabei reimt er erst seit sieben, acht Jahren. Ein Spätzünder, besser gesagt: Ein Spätexplodierer des Rap-Underground.
Doktor Fisch
Sein Soloalbum 4057 ist schon letzten Sommer erschienen, hier nun endlich der Versuch einer Annäherung, eine Annäherung an diesen 34-jährigen Ausnahme-Rapper, der viele Widersprüche in sich vereint. Dessen Eltern einst blutjung aus dem äussersten Osten der Türkei nach Basel kamen, um ihr Glück zu suchen. Levo Rimed, hier geboren, sucht es noch immer.
Levo Rimed ist Teil der Basler HipHop-Crew «Köpf Wo Andersch Ticke», kurz K.W.A.T. Seit über zehn Jahren drehen diese Jungs ihre eher härteren Runden und teilen aus und liefern ab, Platte um Platte, Battle um Battle, Video um Video. Levo hat im Sommer 2016 sein erstes Soloalbum rausgehauen: 4057 heisst es, ein schwarzer, zentnerschwerer Brocken aus Rhymes & Beats und Atmosphäre, rausgehauen aus den dunkleren Ecken des Kleinbasel, rausgehauen aus seiner Seele.
Drei Jahre hat Levo Rimed hart an den 17 Tracks gearbeitet, «das hat mich fast verrückt gemacht». Und wenn erdas sagt, dann wären alle anderen garantiert dabei draufgegangen oder hätten aufgegeben. Aber: a man has to do what a man has to do. Er hat schliesslich ein Gesicht zu wahren in der True, Real School Of HipHop. Hat er den Erfolg angepeilt? Den kommerziellen sicherlich nicht. «Das Allerwichtigste für mich ist, hier in Basel Respekt für mein Album zu bekommen», sagt Levo Rimed im Raucherzimmer einer Basler Kneipe. «Und den Basler Rap-Legenden wie Kalmoo (TNN, seit 1989) die Anerkennung von uns nachfolgenden Rappern zurückzugeben. Sie haben mich inspiriert.» (Kalmoo ist im Track «Fick die Wält» zu hören:)
Der reflektierende, widersprüchliche, erruptive Mensch
Dabei konnte er beim Entwickeln des Albums auf die Unterstützung und die Einmischung seiner K.W.A.T.-Bruderschaft zählen (vorab die Rapper Chilz, Krime, Kush Karisma, auf TNN-Urgestein Kalmoo, auf die Studio- und Producer-Crew von PW Records (Jakebeatz u.a.) und auf weitere Basler Beat-Lieferanten wie Tom Keenig (der mit der sexy-raumgreifenden Bassdrum), San Fermin, DJ Alk, Johny Holiday (Brandhärd), Manoo und anderen – Street-Rap-Barbar S-Hot etwa.
«Ich bin meiner Zeit voraus, obwohl ich allem Alten hinterherlaufe», rappt Levo Rimed in «Höll uf Ärde» (Beat: Tom Keenig). Und: «Wer sich in dieser wirren Zeit scheitern sehen will, der findet seinen Weg» (natürlich alles im Dialekt gerappt). Wer sich auf Levo Rimeds Welt, die im Kopf einiges grösser ist als seine hardcore verehrte Kleinbasler Hood, einlässt, der erhält ein paar ordentliche Lektionen: Streetlife, Weisheit, Anklage, schwer zu durchdringende Gedankenlabyrinthe, die schnelle Nacht, fliegendes Metall, den Eid auf wahre Freundschaft, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit – und dann doch wieder der Verrat an all dem und deshalb ein paar in die Fresse.
Aber: Kein Gangster, kein Hustler, kein Aggro-Macker steht vor einem, sondern ein reflektierender, widersprüchlicher, erruptiver Mensch (und erruptiv meint auch: Don’t fuck with Levo! Doch das gehört nicht zur Musik und deshalb nicht hierher). Den Begriff «Street Rap» findet Levo Rimed für seine Musik nicht zutreffend. Sondern: Thug Life, im Sinne des ermordeten US-Rappers Tupac Shakur, der auf dem Album 4057 einige Male zitiert wird. Thug = der Mann, der seine Bürde doppelt trägt und durch mehr Knock-outs und Krisen gegangen ist als andere im ganzen Leben unter die Dusche.
«Ich bin immer auf der Seite der Unterdrückten»
Thug¹: Der Leidgeprüfte, der immer wieder aufsteht, der sich weigert, in Fatalismus wegzurutschen, der immer einen Tick härter sein muss als es die Lektionen des Lebens sind. Levo findet seine lyrische Sicht auf die kleine und die grosse Welt nicht fatal (beide prallen in seinem Kopf und Herzen im Dauerkampf aufeinander, vermischen sich, zu einer dritten, Levo’s World), sondern «human». Humanismus, dazu steht er. Und Wissen. Es gehe doch darum, dass den Menschen zuviel Wissen verloren gegangen ist. Nicht so ihm, er hat die Daten parat; Sklaverei, Genozide, Kriege, Multikonzerne, Waffendeals. «Ich sage: Informiere dich, lies, filtere, reflektiere, lass es raus». Und: «Ich bin immer auf der Seite der Unterdrückten».
Rückblende: Levo Rimed hatte im Sommer 2015 mit Kush Karisma den Track «Diskussione» aufgenommen, der explizit die Kriegstreiberei anprangerte, die schliesslich zur grossen Odyssee zehntausender vertriebener Syrerinnen und Syrer in jenem unheilvollen Sommer führte. Die Ungerechtigkeiten zu diskutieren reiche nicht, es muss etwas Konkretes getan werden. Indirekt kam es Ende 2015 auch dazu, denn «Diskussione» war einer der Auslöser zum Flüchtlingsevent Get Up Off Your Butt in der Kaserne Basel. Über 17 000 CHF kamen dort für das Kinderhilfswerk Terre des hommes zusammen und gingen ohne Umweg in die Hotspots auf der Balkanroute.
Das war im November 2015. Ende Juni 2016 kam dann endlich Levo Rimeds Album 4057 raus. Dann folgte ein etwas komplizierter Vorfall «medizinischer/unsportlicher» Art, der ihn für einige Zeit von den Bühnen verbannte. Und damit: Mangelnde Promotion für das Album – plötzlich war 4057 praktisch vom Radar verschwunden. Auch diese Plattenbesprechung hier hat über ein halbes Jahr Verspätung.
Sein Flow hebt halbe Nächte und Strassenzüge in die Luft
Levo Rimed ist einer jener zornigen Poeten im Rap, die hellsichtig mit Bildern und Sprache spielen, assoziieren, verweben, komprimieren, um fünf Ecken herum plötzlich hinter dir stehen, als kämen sie aus jener dunklen Zwischenwelt, in der Rap die einzige Heilung ist. Benenne die Missstände, klag an oder geh drauf, biatch! «Dein Leiden muss gelindert werden, find’ dein Ventil, Bruder, lass es raus», sagt er in «Lide Lindre» (Beat: San Fermin). Levo Rimed hat gut reden, denn für ihn ist Rap das ultimative, goldene Ventil (natürlich gibt es andere, aber die Privatsphäre, wie gesagt, bleibt hier aussen vor). Der schwindelerregende Flow seiner Botschaft ist in den besten Momenten pures Dope, ziehs dir rein, flieg hoch, schau runter, schweb weiter, fick die Landung!
Dieser Flow hebt halbe Nächte und Strassenzüge in die Luft, zum Beispiel in «Limitierti Edition» (Beat: Tom Keenig). Oder in «Ich ka nüm schlofe» (Beat/Cuts: M-Skills), einem Schlüsselsong, einer ungeschminkten Szenerie einer Nacht im Kleinbasel. Es ist das atemlose Meistermonsterstück, ein Dauerbeschuss aus Silben und Worten und Bildern. Dabei fängt es verschnarcht an, im Bett liegend wohl, gewinnt langsam an Fahrt, «Gedanken fressen mich von innen auf und darüber schreib ich», dann geht’s los – man sieht den Rapper durch die Kleinbasler Strassen hetzen und nimmt die Verfolgung auf – ein irrer, ungefilterter Slalom zwischen Gassenstress, Bullen, Grastüten, fliegenden Fingern (schreiben) und fliegenden Fäusten, Nuttenstrich, Hundegesichtern, Misstrauen, Schusslinien, Schutzengeln, Abfuck, Abrechnung: «Ich bin kein Lückenfüller, ich bin Musterschüler. (...) Wünsch mir Glück, ich liebe es zu hart, Wirklichkeit bedeutet Hass.»
Breaken im Velokeller, lernen vom afroamerikanischen HipHop
Levent Demir (Demir rückwärts heisst: rimed = rhymed, also gereimt – Gott ist gross!) ist ein Mann ohne Mitte, ein rastloser Getriebener, ein Schnelldenker und –Sprecher. Eigentlich verrückt, dass er erst mit über 26 Jahren zum Rappen kam. Zum HipHop kam er im Kleinbasel als Knirps Anfang der 90er übers «Breaken im Velokeller», bis eines Tages die Schulter futsch ging.
Rückblende: Die frühen 90er-Jahre. Das war in der goldenen Ära des US-HipHop, als mit Nas, Tupac, Gang Starr, Ice Cube, Tribe Called Quest, Mobb Deep, Brand Nubian, KRS-One, Public Enemy, Wu-Tang Clan, Busta Rhymes, Big Pun, Mos Def, EPMD, De La Soul, Biggie Smalls, Geto Boys ... (eine endlos lange Liste ...) die zweite Generation (nach der Sugarhill Gang, Afrika Bambaata, Tone Loc, Kool DJ Herc, LL Cool J, 7A3, den Beastie Boys u.v.a.) den Rap zum relevantesten, innovativsten und coolsten Sound und Style des Jahrzehnts machte (Grunge war gerade gestorben und Drum’n’Bass war England). Die Basler HipHop-Szene hat diese Attitude, diese Musik, diese Subkultur der Strasse komplett verinnerlicht, von Gangsta Rap bis zu Consciousness Rap und zurück: Sprayen, Turntablism, Breaken, Rappen. One Love, bis heute.
Die Ära verdunkelte sich, als Tupac (1996) und Biggie Smalls (1997) ermordet wurden. Da war Levo gerade mal 13 Jahre jung. Die grösste Inspiration holte er sich trotzdem von Tupac, dessen Speaches immer wieder in seinen eigenen Tracks auftauchen, etwa in «Ufgewachse» (Beat: San Fermin), wo er seine Kinderjahre mit dem 12-köpfigen Familenclan in einer 5-½-Zimmerwohnung im Hochhaus bei der Kleinbasler Claramatte beschreibt, ohne Geld, Unterschicht, ständiger Kampf, «Breaken im Velokeller», wo er zum Fighter wurde, wo Kleindealer heranwachsen, Verteilerbusiness, wenig andere Chance, Geld zu machen.
Willkommen im Rassismus, du Schweizer
In «Barmhärzig» (Beat: Jakebeatz) rechnet Levo mit seiner «Karriere» als braves Kid ab, das alles mitmacht, was man ihm sagt, Kindergarten, Schule, Lehre, Job, was soll der Scheiss! «16 Johr schaffe wie en Mongo, wo isch mi Cash, ihr Hueresöhn?» – eine wütende Tirade gegen das vorprogrammierte Leben als billige und willige Ressource der Mächtigen, während die selber massenhaft Schwarzgeld anhäufen. Oh ja, es muss eine Menge raus.
Schliesslich ist Levent Demir Schweizer geworden, hat Militär gemacht, hat dort auch die kleingeistigen, unheimlichen Patrioten kennengelernt: «Die sagten mir, ja klar, du bist vielleicht Schweizer, Levent, aber wir sind EIDGENOSSEN», erinnert sich der Rapper und schüttelt den Kopf. Willkommen in der gespaltenen Schweiz der geschürten Missverständnisse. Willkommen im Rassismus.
Im Track «Gränze» nennt Levo die Dinge auch mal beim Namen, nämlich, dass er als Ausländersohn die Sprache der Basler besser beherrscht also sie selber, «bessere Texte hinknallt», und da hat er recht. Dabei geht’s nicht um deutschen Gymnasiasten-Rap oder holprige Aggro-Berlin-Reime, sondern um seine ganz eigene Sprache und Melodie: Die Silben und Wortfetzen spuckt Levo Rimed manchmal so schnell und halb verschluckt aus, dass sie wie ein Gemisch aus Arabisch und Dialekt klingen. Levo ist seine eigene Melodie geworden, sein Markenzeichen. Man kann auch sagen: Das ist Kunst. Von der Bordsteinkante aus genauso wie aus dem grossen Buch des Wissens.
«Vergäbig» ist ein nachdenklicher, bitterer Track über einer Piano-Figur und einem schläfrigen Beat (wieder: Jakebeatz). Ein Beichte vor dem Herrn, weil der sündige Rapper seine Mitte nicht findet, seine Fehler bereut, seine Arroganz verdammt, seine Mutter leiden sieht und wie krank ihn das macht: «Es reicht nicht, sich selber zu sein», und doch, wenn das Leben genau jetzt zu Ende wäre – dann muss es so sein. Da ist er Krieger. Sein Gott heisst Allah, und Er kennt Levent Demir besser als alle anderen. Es geht um den persönlichen Glauben, die Erlösung, nicht um die Religion. Denn am Schluss – trotz aller Freunde und trotz der Familie – ist der Mensch allein. Das weiss der Basler Rapper zu genau. «Ich suche den Weg. Scheisse. Keiner kann mir helfen, keiner (..) Ich denke über den Tod nach, mehr als mir lieb ist», heisst es in «Abstrakt».
Levo Rimed ist angry, aufbrausend, dann wieder in sich ruhend, versöhnlich. Widersprüchlich. Er sagt immer, was er meint (fast immer). Reicht das? Er steht auf luzide Weise über dem, worüber er reimt und ist trotzdem darin gefangen: Street, Hood, Enge, Alltag, Pflichten, Flash, Underdog. Er wählt Thug Life im Sinne von Tupac, dem genialen Regisseur der Strasse, er wählt True School, und bleibt der Philosoph mit der erhobenen Hand, die auch mal zuschlägt.
Wenn er rappt, klingt das wie durch eine Zellentüre gebounced, gefangen, und doch frei getaktet, immer straight forward, und selbst der Beat geht vor seiner Silbenschleuder in die Knie. Jean-Luc Godard hat über diesen Typus des Outlaws mal den Film «À bout de souffle» gedreht, vor etwa 555 Jahren. Ausser Atem. Das Leben auf der Zunge und die Zigarette wie ein Düsentriebwerk zwischen den Lippen. Spuck auf alles, spuck alles aus. 1 000 Silben, während andere einen Joint drehen. Fick diese Welt!
4057 ist eine vielschichtige, atemberaubende, unterhaltsame und manchmal auch grossmaulige Ansage. Sie ist nur von viel zu wenigen gehört worden. Wir wissen alle, dass das zu oft passiert.
«Weisst du – ich mache Soul Music», sagt mir Levent Demir am Schluss, zieht die Zigarette in einem einzigen Zug hoch, drückt sie weg, und dann geht es raus aus dem Raucherzimmer dieser Kneipe, rüber zum Auto, ab in die Nacht.
Levo Rimed – 4057
(K.W.A.T) ist am 25. Juni 2016 als CD und digital erschienen.
¹ Thug. Die Anfangsbuchstaben aller 17 Tracks auf Levo Rimeds Album 4057 ergeben THUGLIFEBASELVNFS (VNFS = vier, null, fünf, sieben, 4057).