Serafyn – Foam: Verstärkt am Nerv der Zeit

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Serafyn © Matthias Willi 2017
Serafyn © Matthias Willi 2017

So. Kommt mir bloss nicht blöd! sagt Doc Fisch, bevor er kurz vor Mittag in die Strassen hinaus sticht, auf der Suche nach Ärger. Wobei: Eigentlich sucht er die Liebe, den Frieden mit sich selbst und der Welt. Das wahrhaftige Glück, das leichte Los, die verfickte Freiheit! Aber er findet nur brabbelnde Idioten, rauchende Irre, saufende Verwirrte, komplizierte Aufgaben und Pflichten, die schwer auszuhaltende Dichte der Rush-Hour-Innenstadt, Lärm und kaputte, kalte Wirrnis – und im Live-Stream nur Dreck und Angeberfrisuren auf kranken Köpfen, und Menschen, die namenlos sterben. – Einfach wegzappen? Aussteigen? Punkrock hören? Blöd nur: Wer sich komplett ausklinkt aus dem Zeitgeschehen, ist längst kein Aussteigerheld mehr, sondern ein Feigling. Wahrlich: Halte die Augen offen, und die Ohren, Doc! Hör dir doch mal die neue Platte von Serafyn an, du ungebildeter Depp! Du hast 24 Stunden Zeit ...

Album Review / RegioSoundCredit

Nackte Arme im Winter – brrrr ...! So präsentieren sich zwei der Serafyn-Musikerinnen auf dem neuen Pressebild zum Serafyn-Album Foam. Überhaupt: Die etwas freakigen, farbigen Röcke und Pullover auf dem Pressebild von 2015 sind einer eher strengen, dunklen Kleidung gewichen. Soviel zu den Äusserlichkeiten dieser jungen Band aus Basel, die in ihrer kurzen Geschichte schon so viel erreicht hat.

Serafyn zielen seit Anbeginn ihrer Zeitrechnung auf das Innere, diesen gemeinsamen Echoraum ihrer und unserer Schwingungen. Das Sound-Gerüst dazu: akustische Instrumente, Kammer-Folk, spartanisch gezimmert und immer auf den Punkt getextet, gespielt, gesungen. Harmonie mit Widerhaken. Die ruhige Klarheit am Nerv der Zeit.

Die Balance zwischen innen und aussen

«Lieder sind Trost, Freude, Gleichheit, sie halten inne im einzigen Moment», meinte Doktor Fisch zur Debut-EP Quantum Leap von Serafyn. Die kam vor ziemlich genau zwei Jahren raus und schlug ein wie ein grosser, flirrender Sommersturm auf einer hellen Wiese voller Pusteblumen. Wow, selten so was gehört. So selbstbewusst wie zweifelnd, und so leicht wie tiefsinnig. «Take To The Skies» war dann ihr Song, der den fünf Musikerinnen und Musikern einige Türen geöffnet hat, völlig zurecht. Weitere werden folgen. Denn Foam ist die Fortsetzung einer einzigartigen Geschichte mit angepasstem Gerät.

Das Album Foam, das sei grad gesagt, ist ein verdammt clever ausbalanciertes Werk zwischen Dunkel und Hell, zwischen der Welt da draussen und der Welt in dir drin. Ein Werk, das Kraft bündelt und freisetzt. Foam ist urbaner geraten als noch Quantum Leap, aber die innere Landschaft aus Klang und Poesie stülpt sich immer noch leicht über die äussere. Foam ist wandelbarer, bildstarker und lauter. Verstärkt am Nerv der Zeit.

Pop aber ist das nicht, obwohl die zehn Songs vom Berliner Wir-Sind-Helden-Drummer Pola Roy produziert worden sind. Es sind zehn Songs, die poetisch das Diffuse zu beleuchten suchen und im letzten Dreh die Türe in einen helleren Tag aufstossen. Songs, die Geduld einfordern, uralte, neu zu definierende Werte auch, die Lust am Querdenken, oder die Pflicht dazu.

Das Klangbild ist elektrischer geworden, perkussiver und pulsierender, aber die vollends harmonierenden Stimmen von Anna Erhard (Gitarre) und Anja Waldkircher und Alexandra Werner (beide: Cello) sind noch immer das unverkennbare Markenzeichen der Band.

Am Vorabend des Machtwechsels in Washington

Eröffnet wird Foam vom Song «Good Thing», mit elektrischer Gitarre und einer voluminösen Pauke. Boom! Und einem straighten Schlagzeug (J.J. Loew) samt rollendem E-Bass (Lucas Loew). Hinfort mit der WG-, Strassenmusik- und Lagerfeuerstimmung! «Good Thing» ist ein prägnanter Song, der die Frage stellt, in welche Richtung die Erde sich dreht und wohin die Erdenmenschen rennen. Mit dem Strom oder dagegen? Welcher Strom? Und wer läutet den Wechsel ein und wer hat die Macht und wer ist der Macher?

«Good Thing» kam am 4. November 2016 als Vorab-Single auf den Markt, am Vorabend des Machtwechsels in Washington, diesem semi-demokratischen Kulminationspunkt, diesem brutalen Wechsel der Werte, dessen ganze Geschichte noch nicht mal im Ansatz geschrieben worden ist. Einmal mehr hatte Texterin Anna Erhard, kurz vor Veröffentlichung des ersten langen Albums gerade erst 27 geworden, den Nerv der Zeit getroffen.

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Das Private ist politisch – die Politik ist verrückt geworden

Doch vielleicht hat sie mit «Good Thing» auch etwas ganz anderes gemeint. Wer weiss das schon? Wenn ich ein Lied kaufe, gehört es schliesslich auch mir, meiner privaten Deutungshoheit. Klar: Das Private ist politisch, aber die Politik ist verrückt geworden, sie setzt auf Hass und Abschottung. Das Private ist arg in der Klemme, und der permanente Newsstrom drückt es immer weiter in die Ecke. Aus mit der Politik. Kein Wunder, müssen wir uns 2017 den Pfad zur Klarheit wieder etwas energischer freischlagen als auch schon. Serafyn helfen uns dabei ein wenig.

«Foam», das Titelstück, ist knarrend vertonte Poesie von der Art, die eine Patti Smith locker zum Tanzen in der dunklen Kathedrale brächte. Als einzelner Gedankenfetzen schwirrt dann «Current Current» vorbei, während der Song «Patience» tiefmelancholisch die inneren Erschütterungen zu messen versucht. «How Am I Supposed To Set A Thing In Stone» stellt sich auf den Kopf und verliert dabei die Standfestigkeit, ein prägnantes Bild mit surrealistischem Ursprung. Ja, es ist schwieriger geworden, etwas in Stein zu meisseln, obwohl die Steine ja da wären. Nur sind sie – wie im letzten Song «Messy» beklagt wird, «weightless» geworden – ohne Gewicht. Oder schwerelos.

«Morning Tea» beschreibt – nehme ich mal an – die Inspiration der Texterin, das zufällige Entstehen von Poesie, die später als Lied an Land geht, um sich in brüchiger Schönheit vielsagend zu manifestieren, und noch viel mehr. Kunst also, nicht Pop.

«We are all in»
Serafyn gehen mit Foam nicht auf die Barrikade: Der Wohlklang ist sauber getupft und abgerundet. Geschmeidiges Zurücklehnen fällt sehr viel leichter als etwa aufgeladen rauszugehen und eine bessere Welt einzufordern. Klar: Das Lied ist nur die Botschaft, nicht die Tat. Oder wie es bei den Sternen einmal geheissen hat zum Thema «Ganz normaler Tag»: «Ich bin die Bühne nur / und nicht das Drama».

Bei Serafyn heisst es im Song «Lines» fast am Ende, dass, «wenn wir Freiheit fordern / wir etwas Wirkliches fordern». Aber: Freiheit, wovon. Wirklichkeit, aber welche. Die alten Fragen. Oder doch ganz neu zu verhandelnde?

Schliesslich beherbergt Basel im Moment mit Schammasch und Zeal & Ardor aktuell zwei weitere Bands, die umfassende und weit herum beachtete Kunst abliefern, in der das Leiden und die Erlösung des Menschen zum zentralen Thema erhoben sind. Fertig mit der bunten Indie-Disco. Eskapismus, your ass!

Solange aber der Lärm der Zeitenwende so verstörend und erschütternd um den Globus zieht und die stumpfen Slogans der Machthaber mit Schaum vor dem Mund und ihrer dunklen Armeen mit Hass im Blut die Sicht verbauen, solange bleiben Innehalten, Ruhe und Trost elementare Bedürfnisse der Herzen und Köpfe vieler gemeinschaftlich denkender Menschen.

Und Trost ist kein unwesentlicher Bestandteil der Musik von Serafyn, auch wenn die Musik auf Foam komplexer und kühler ausfällt als noch vor zwei Jahren. Oder auch: reifer, grösser.

«We are all in», heisst es im Song «Morning Tea». Yes, we are. Wir können nicht mehr einfach aussteigen.

Serafin – Foam (Cover)
Serafin – Foam (Cover)

Serafyn – Foam

(Radicalis Music) ist am 10. Februar 2017 als LP, CD und digital erschienen.

Musikvideo und Tournee werden mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel unterstützt.

Serafyn sind:
Anna Erhard (git, voc, lyrics), Alexandra Werner (clo, voc), Anja Waldkircher (clo,, voc), Lucas Loew (bs, git) und J.J. Loew (dr, perc, vib).

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