Zeal & Ardor – Devil Is Fine: Brutal geerdet
Da ist es endlich, 25 Minuten kurz und doch seit Monaten in aller Ohren, von New York bis Athen: Devil Is Fine. Das Album der Basler Band Zeal & Ardor um Mastermind Manuel Gagneux ist ein Jahrzehntereignis und ein grossartiger, seltener Beweis dafür, dass der kreative Underground sehr wohl aktiv und mit etwas Glück auch fähig ist, seinen Weg raus aus den kargen Löchern der wahren Kunst zu finden. Auch wenn Manuel Gagneux dafür dem Teufel seine Seele verkaufen musste oder wollte.
Doktor Fisch
In der Basler Musikszene kennt man Gagneux (nachzulesen auch im RFV-Jahresbericht 2016 unter «Kulturelle Diversität»). In New York, wohin er als US/CH-Doppelbürger seit einigen Jahren immer wieder zur horizonterweiternden Blut- und Gehirnsynapsenauffrischung rübermachte, kannte ihn niemand. Das änderte sich urplötzlich im letzten Sommer (nachzulesen im Alpkvlt Metal Magazin).
Zeal & Ardor haben es nun mit ihren Songs geschafft, in vielen relevanten Medien der Metal-Szene, des liberalen Feuilletons, des Staatsradios und der Hipster-Welt genauso stattzufinden. Diese Geister hatte Gagneux aber im Frühling 2016 nicht gerufen, als er die afroamerikanischen Sklavengesänge des 19. Jahrhunderts ins 21. Jahrhundert rüberzubeamen begann, aus purem Interesse an Rhythmus, Worten, Gesang und Geschichte.
Black Metal Matters
Jedoch: Wir drehen hier keine pädagogisch ausgewogene Reportage für das Schweizer Spätabendfernsehen, sondern freuen uns ob der wahrhaft fulminanten Musik auf Devil Is Fine, denn das ist sie mehrheitlich. Zwei Dinge bringt sie zusammen: Die Gesänge der afroamerikanischen Sklaven der Südstaaten (Slave & Chain Gang Music, Gospel, Blues, Prison Songs) und den Metal nordeuropäischer Prägung. Genauer gesagt, Black Metal. Beide Genres haben, unter anderen, auch starke spirituelle, beschwörende Elemente. Und beide rufen Gott an, auf sehr unterschiedliche Weise. Beide transportieren Wut.
Um den Begriff Black Metal im Kontext von Z & A entstand dann etwas Verwirrung; einerseits in den schöngeistigen, schon länger nicht mehr gelüfteten Gehirnen der «Die Zeit»-LeserInnen und andererseits in denjenigen dunklen Ecken der Metal-Szene, die nicht auf Neues oder Genre-bedrohendes aus sind.
Kurz zur Klärung: Natürlich sind Z & A keine Black-Metal-Band. Sie setzen aber Black-Metal-Elemente in ihren Songs ein (Gitarren, Drums, Bass, Stimme), nicht nur aus künstlerischer Freiheit, sondern auch, weil Gagneux selber seit Teenagerzeit von Black Metal als wirklich extremer Musik und provokativer Haltung fasziniert ist. Schliesslich: Als Sohn einer Afroamerikanerin hat der Basler bei seinen USA-Aufenthalten seine dortigen Wurzeln weiter zurückverfolgt.
Auf Z & A gemünzt, kann Black Metal auf einer Metaebene auch so übersetzt werden:
Black
die Hautfarbe, die Finsternis des Leidens, die spirituellen Songs der afroamerikanischen Sklaven, ihre ursprüngliche Herkunft: Afrika, wo die Europäer die Sklaverei etablierten und damit reich wurden und bis heute sind. Die weissen AmerikanerInnen haben dies von ihren europäischen Vorfahren übernommen, zum Teil bis ins frühe 20. Jahrhundert.
Metal
daraus waren die Fussfesseln der Sklaven oder der Chain Gangs (Gefangene in Arbeitseinsätzen ausserhalb des Knasts) gefertigt: Metall.
Oder noch einfacher:
Black = Hautfarbe
Metal = Ketten
Gagneux, der Songschreiber von Z & A stellt auf Devil Is Fine ganz einfach die Frage, was passiert wäre, wenn die afroamerikanischen Sklaven nicht in Gott ihren einzigen Trost und Halt gesucht hätten, sondern in Satan.
Aus «Blood In The River»:
a good god is a dead one
a good god is the one
a good god is a dead one
a good god is the one
a good lord is a dark one
a good lord is the one that brings the fire
a good lord is a dark one
Eine homogene Metal-Szene hat es nie gegeben
Doch zurück zum musikalischen Metall: Eine homogene Metal-Szene gibt es sowieso nicht, hat es nie gegeben, ebensowenig wie eine homogene Gebrauchtwagen-Szene. Ein Opel Corsa mit 215'000 Km und ein Ferrari 365 GTS/4 Daytona Spider haben nichts gemeinsam – ausser, dass sie beide Gebrauchtwagen mit vier Rädern sind.
Andersherum: Black Metal, Thrash Metal, Melodic Death Metal oder Post Metal haben ebensowenig gemeinsam. Und Metallica sind längst eine Stadionband für die ganze Familie. Einige Metal-Szenen sind tatsächlich sehr konservativ bis reaktionär – andere sind seit Jahren die Quelle avantgardistischer «Extreme Music» samt ihrer hochinteressanten Philosophie. Black Metal 3.0 hat Gott längst überwunden.
Apropos extrem: Die berüchtigte Black-Mass-Show der norwegischen Black-Metal-Band Gorgoroth in Krakau vor 13 Jahren war längst nicht in der ganzen Metal-Szene gern gesehen und auch nicht unbedingt ein Thema (Youtube-Check, suchen: Gorgoroth «Forces Of Satan Storms» Krakau 2004). Von dieser nihilistischen Provokation kann man halten, was man will oder auch gar nichts. Fakt ist, dass die zweite, norwegische Welle des Black Metal seit Anfang der 90er Jahre immer extremere Formen und Inhalte gegen die in Norwegen sehr dominante evangelische Kirche zelebrierte (bis hin zu Morden unter Musikern, Verstümmelungen, Brandstiftung und teilweise Verehrung der Nazi-Ideologie, Stichwort NSBM) und ein Sammelbecken nicht nur von begnadeten Musikern, sondern auch einiger geisteskranker Spinner wurde. Vorbei. Schon längst erfinden die übriggebliebenen Black-Metal-Bands aus Skandinavien das musikalische Metall-Rad nicht mehr neu.
Die aus den Fugen geratenen Welt – heute wie damals
Mit dieser provokativen, effekthascherischen Form des satanischen Black Metal haben Zeal & Ardor natürlich nichts zu tun. Sondern, im besten Sinne: Mit Spiritualität und der Frage nach dem Mensch-Sein in einer aus den Fugen geratenen, perversen Welt – heute wie damals.
(Oder wie krank war es eigentlich, dem afrikanischen Kontinent durch europäische Missionare flächendeckend den christlichen Glauben aufzuzwingen? Und die AfrikanerInnen dann als Sklaven zu verkaufen, später auch in die Neue Welt? Wie normal ist dann plötzlich der Gedanke, dass sich die geschundenen Sklaven in den Südstaaten der USA endlich lieber auf die Seite von Gottes Gegenspieler schlagen, Satans nämlich? Wenn der Gott des Weissen Mannes, den schon die AfrikanerInnen gar nicht gewollt hatten, über so viele Jahrhunderte hinweg versagt hat, kann Satan ja nicht mehr viel kaputt machen. Devil Is Fine. Immerhin scheint Satan kein Rassist zu sein.)
Nun aber erscheint am 24. Februar 2017 endlich offiziell das Album Devil Is Fine. Diese Musik ist in einigen Songs derart brutal geerdet, dass sie einen erzittern lässt. Sie nährt sich aus dem monumentalen Leiden der schwarzen Sklaven und bricht direkt in unsere digital zugekachelte Gegenwart ein. Dieser Kurzschluss zwischen der Hölle der Vergangenheit und dem irren Tumult des 21. Jahrhunderts funktioniert deswegen so gut, weil er absolut authentisch und zwingend wirkt, samt der beschwörenden Texte, der Call-and-response-Gesänge und der Kraft dieser dynamischen musikalischen Zelebration.
Hail ZAtan!
Also, befreit euch von musikalischen Fesseln und hört diese Band live und auf Konserve. Der allererste Live-Auftritt wird am Czar Fest in der Kaserne Basel (14.+15.4.) zelebriert werden, danach geht es auf Europa-Tournee mit Stop beim Extreme-Music-Top-Festival Roadburn in Holland (wo auch Schammasch aus Basel auftreten) und beim The Great Escape Festival in Brighton/UK. Dann zum Metal Hammer Fest in Katowice (mit Marylin Manson), im Juni steht das Maifeld Derby in Mannheim an, im Hochsommer gehts nach Las Vegas ans Psycho Festival, wo die Basler Band mit Namen wie Carcass, Neurosis, Swans, Melvins oder Cult Of Luna w/Julie christmas auf dem Plakat stehen. Und wenn es für Z & A dann «leaving Las Vegas» heisst, ist die Reise noch lange nicht vorbei.
Wir erwarten nichts, aber es wird grossartiger werden, als es jetzt schon ist. Hail ZAtan!
Zeal & Ardor – Devil Is Fine
(Radicalis Music, MVKA Music UK) ist am 24. Februar 2017 als LP, Picture Disc, CD und digital erschienen.
Die Europa-Tournee wird vom RegioSoundCredit des RFV Basel unterstützt.
Z & A sind: Manuel Gagneux (voc, git), Tiziano Volante, (git), Rafaela Dieu (bs), Marco Christian von Allmen (dr), Mark Obrist und Denis Wagner (b voc).
Z & A Logo: Luca Piazzalonga.
Coverboy auf Devil Is Fine: Robert Smalls.