Anna Rossinelli – White Garden: Den Schmerz teilen.

Reviews

Drei Jahre nach ihrem Album Takes Two To Tango sind Anna Rossinelli mit White Garden zurück, und gleich auf Platz 1 der Albumcharts. Die neue Platte muss mit dem Zerbrechen einer Liebesbeziehung in der Band klarkommen – und tut das mit viel Gefühl und Tiefe, mit Funk und Soul und vor allem mit Grösse und Emanzipation. Doktor Fisch braucht also keine Pflaster zu verteilen, sondern sagt aus den Tiefen des Umzugskartongebirges heraus jetzt schon: Danke für die Musik! Am Samstag ist Plattentaufe.

Album Review / RegioSoundCredit /

Anna Rossinelli sind eine Band. Das ist noch nie so deutlich geworden wie mit diesem neuen Album White Garden. Die Geschichte vom Beziehungsende zwischen Bassist Georg Dillier und Frontfrau Anna Rossinelli ist mittlerweile bekannt (sie nahm 2015 ihren Anfang und prägt das neue Album), aber auch Gitarrist Manuel Meisel durchlebte in der Zeit, als die Platte entstand, einen persönlichen Umbruch. «Wir mussten uns wieder finden in der Gruppe. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit, man definiert sich extrem über den anderen. Also mussten wir die Trennung verarbeiten», sagt Anna Rossinelli im Interview mit der bz Basel.

Melancholie und Funk

Ja, Schmerz ist der Stoff, aus dem die besten Songs entstehen. Ain’t no sunshine when she’s gone und überhaupt. Gute Songs hat es auf White Garden eine Menge. Der Opener «Eyes Closed» etwa, in dem der Beat das Blut durch die Venen pumpt (Co-Produzent Pablo Nouvelle ist für die Beats verantwortlich) und den starken Lyrics und der noch reiferen Stimme Anna Rossinellis Platz lässt: «You can’t get me under your skin / because your skin is all over the floor.» Melancholie ringt mit Aufbruch und Ausbruch – und das setzt eine ganze Menge Energie frei.

Der Song «White Garden» (komponiert von Manuel Meisel) scheint mit «Eyes Closed» («I can see you with my eyes closed») fast wie verschränkt. Wieder sind die Augen geschlossen: «I can see you / when I close my eyes». «White Garden» kommt jedoch frisch und funky mit einem perlenden Beat in den Nachtclub gesteppt, wo bereits George Michael auf der Tanzfläche rummacht und mit den Fingern schnippt. Das tut gut. So klingt Neuanfang. So klingt auch gute Popmusik.

Anna Rossinelli © Universal Music 2018
Anna Rossinelli © Universal Music 2018

Die Sache mit ABBA

Wenn ich mein Pop-Gehirn nach musikalischen Trennungsgeschichten abtaste, kommt immer zuerst «The Winner Takes It All» ans fahle Tageslicht. ABBA filtern aus dem Liebes-Aus recht stereotyp eine*n Gewinner*in und eine*n Verlierer*in heraus – das schien 1980 einfach State of the Art. Anna Rossinelli tun das nicht, vorab nicht in dieser dunklen Piano-Ballade «Heroine». «Don’t you mistake my silence for ignorance», heisst es irgendwo im Song, den Georg Dillier geschrieben hat. Und den Anna Rossinelli mit ihrer ausdrucksstarken Soul-Stimme bestreicht wie eine pure, dräuende Nacht mit hell glitzerndem Sternenstaub.

Und während nicht wenige Menschen wehmütig, ach was: komplett zerstört in die Kloschüssel starren, wenn ABBAs Klassiker «The Winner Takes It All» aus der Zeit herüberweht, so sollte das bei «Heroine» von Anna Rossinelli nicht passieren. Nicht dass sich Schmerz 2019 weniger elend anfühlen würde als Schmerz 1980 oder umgekehrt, aber: Warum den Schmerz nicht teilen, mit derjenigen Person etwa, der ihn (mit-) verursacht hat?

Auch im Song «Hold Your Head Up» wird die Verbundenheit nach der Trennung beschwört: «I’ll still be your shoulder / if you feel down / you can lean on me.» Dieses Sich-nicht-wehtun-Wollen, dieses Für-Einander-da-Sein in der schwierigen Zeit der Trennung, wenn in jedem Gegenstand und in jedem Wort und in jedem Bild und in jedem Sonnenstrahl – in jedem verfickten Staubfusel – das Antlitz des anderen lauert – das hat schon eine echte Grösse, finde ich. Davon erzählt auch der Song «Sing For Silence». Und alles in allem zeugt dieses Album der Drei von echter Emanzipation. Teilt euren Schmerz, und dann mit dem Publikum. Dann vergeht er. Auch darum geht es in der Popmusik.

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Die Sache mit dem ESC

Eurovision Song Contest – ist das wirklich schon acht Jahre her? Da dreht man sich im eigenen Grab um, streicht sich über den faltigen Bauch und sagt: Ja, fuck, acht Jahre. So schaut sich der Doc nochmals den Auftritt von Anna Rossinelli in Düsseldorf an, und dann den Auftritt von Anna Rossinelli an den Swiss Music Awards Anfang 2019, mit einer kompletten Backing Band hinter dem Trio, und sagt erneut: Fuck!

In den acht Jahren ist aus einer charmanten jungen WG-Band mit einer etwas ungelenk agierenden Frontfrau ein Live-Act geworden, der aus der Schar von Schweizer Chartsbands hervorsticht wie der Eiffelturm aus den Champs d’Elysée. Und dann ­– Redewendungen sind Arbeit – rennt der Doc schnell zur etwas muffigen Garderobe im Hausflur, reisst den vergessenen Hut vor der Ablage und zieht ihn ganz tief: vor dieser Band, vor dieser Frau. Chapeau für diese starke, für diese berührende Platte.

Draussen wird es bald Frühling. Zeit, den Garten umzugraben und irre Farben zu pflanzen, für die Zukunft, die da lauert und für dich. Weiss ist schliesslich keine Farbe. Schwarz auch nicht.

Anna Rossinelli – White Garden (Cover)
Anna Rossinelli – White Garden (Cover)

Anna Rossinelli – White Garden

(Universal Music) ist am 19. Januar 2019 als LP, CD und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel erschienen. Digital erhältlich hier.

CD- und LP-Verlosung
Der RFV Basel verlost 2 CDs und 1 LP. Teilnehmen: E-Mail an den RFV Basel. Es wird keine Korrespondenz geführt.

Plattentaufe
16.03.2019  Basel, Parterre One

Anna Rossinelli live
29.06.2019  Münchenstein, Summerstage
17.07.2019  Bern, Gurtenfestival

Weitere Daten auf der Website der Band (in der Band-App unten finden sich alle Links, einfach antippen).

Anna Rossinelli

Anna Rossinelli 2024 zVg
Anna Rossinelli 2024 zVg
21/10/2024

Beiträge

7 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2024
6 000 CHF | RegioSoundCredit Tournee | 2023
10 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2022
4 000 CHF | Nominierung Basler Pop-Preis | 2020
3 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2018
4 500 CHF | RegioSoundCredit Musikvideo | 2015

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