Heavy Harvest – Iron Lung: Wach bleiben im durchlöcherten Underground
Die Basler Band Heavy Harvest hat auf ihrem zweiten Album an Kompromisslosigkeit noch einen draufgegeben. Oder mehr als einen. Iron Lung ist angry Stoner Noise und Hardcore Punk in Reinkkultur, einerseits. Andererseits suchen die Lyrics die blutigen Schnittstellen zwischen Mensch, Maschine und Natur.
*** Update *** Erste Live-Show mit Iron Lung am 17.10.2020
Doktor Fisch
Todessehnsucht, Tod, Metall, Fetisch, Knarren, Schmerz, Sterben, Säure, Chemikalien, Abführmittel, Eingeschlossensein, fleischfressende Pflanzen, Schweineärzte, Mensch-Maschinen, Rasierklingen, blutige Träume, Skelette, 1984 ...
... das Themen-Querlesen der Songtexte von Heavy-Harvest-Häuptling O’Neal macht die momentan etwas wacklige Gemütslage vieler Weltchaosgebeutelte*r auch nicht wirklich besser. Der Mann hat eine Menge abzuladen an Wut in albtraumhaften Bildsequenzen geschrieenen Lyrics: «I’m more machine than man», heisst es zusammenfassend in einem Song. Und: «You're bleeding in my dreams / at night I cut you up» im Titeltrack «Iron Lung».
Aber Kunst darf immer alles, deshalb: Tauchen wir ein in die 12 Songs in 33 Minuten, die Iron Lung uns Ende April mitten in die Corona-Zeit hinein vor die Füsse geballert hat.
Noise-Rock als Ventil für aufgestaute Wut
Drei Jahre haben sich die Drei von Heavy Harvest für ihr zweites Album Zeit gelassen. Herausgehauen haben sie ein hochenergetisches und ultradichtes Noise-Gewitter in klaren Hardcore-Punk- und Stoner-Rock-Bahnen. Wutanfall, Hass, Amoklauf, Panik, Verzweiflung – name it.
«Look into the sky / see we’re gonna die / … / I pray to stay alive / no one hears me» schreit Sänger und Gitarrist O’Neal im Song «Needles». Anderswo klingen die Lyrics dann so richtig paranoid (siehe oben: «Iron Lung»), hoffnungslos («Candy», «Pig Doctor») oder verstörend («Oven», «Noosebleed»). Müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen? Oder nutzt er tatsächlich einfach die Freiheit der Kunst?
Oder – Noise-Rock verpflichtet – pusten Heavy Harvest nicht einfach genau dasjenige Ventil für aufgestaute Wut durch, das in diesem nihilistischen Genre Noise-Rock schon immer zentral gewesen ist?
Oder gehört dies einfach zum Konzept einer Band, die immer schon diese wunderbar angepisste David-Lynch-Stimmung verbreitet hat? («Eraserhead» hiess tatsächlich ein Song auf dem ersten Album Rats).
Jedenfalls: Iron Lung entwickelt die ungestüme Kraft des Debüt Rats weiter, schraubt noch präziser an den Dichtungsringen der Noise-Maschine. Ob Aaron Wetzel am verzerrten Bass, Jonas Häne (auch bei Asbest) am schweren Baller-Drum-kit und eben O’Neal Haas an der Schredder-Power-Dissonanz-Gitarre und Megaphon: So gut hat Hardcore auch 1984 nur selten geklungen.
Wer bleibt an der Wand kleben?
Diese Band ist nicht unterwegs, um sich smarte neue Freunde*Freundinnen zu machen. Ihre Mission scheint eher: Alles-Komplett-an-die-Wand-Rocken, schauen, wer kleben geblieben ist und diejenigen als Gefährten zusammensammeln für den weiteren Kampf für eine gute Welt.
Iron Lung ist mit Garantie böse Folter für alle, die solch frontale Kunst meiden wie der Papst die Moschee. Iron Lung ist mit ebensolcher Garantie aber der wahrste Freund für alle Grenzgänger*innen, die Vollkontakt-Musik brauchen, um irgendwo dazuzugehören im durchlöcherten «Underground der Minderheiten» 2020. Um irgendwie wach zu bleiben, nicht durchzudrehen. Freundlich zu bleiben. Denn freundliche Menschen sind sie wirklich, die Drei von der Punkstelle.
Und ganz ehrlich: Iron Lung ist eine verrückt geile Platte.
Heavy Harvest – Iron Lung
(Czar Of Crickets Productions Basel) ist am 24. April 2020 als LP, CD und digital mit einem Beitrag der Jugendkulturpauschale Basel-Stadt auf Empfehlung der Fachjury des RegioSoundCredit des RFV Basel erschienen und im Plattenladen, bei Bandcamp oder Cede.ch erhältlich.
Erste Live-Show
17.10.2020 Basel, Hirscheneck, im Vorprogramm der Hathors (CH)
CD-Verlosung
Der RFV Basel verlost 2 CDs von Heavy Harvest. Teilnehmen: E-Mail an den RFV senden, es wird keine Korrespondenz geführt.
Musikvideo
Der Song «Fertilizer» ist vom That Noise Magazine für den Videoclip «Freakend At PortLand» (Basel) eingesetzt worden.