ColdCell – The Greater Evil: Das Schwert ist geschärft

Reviews

Das vierte Album der Basler Düster-Schwermetaller ColdCell erscheint dreieinhalb Jahre nach Those und erstmals auf dem französischen Label Les Acteurs de l'Ombre (LADLO). Black Metal als lauteste Stimme im Kampf gegen Ignoranz und Ausbeutung: The Greater Evil schickt die Menschheit zurück ins Meer, mit diesem monumentalen Brocken im Gepäck.

Album Review

«We proclaim the fall of mankind
We are extinction's advocates»

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The Greater Evil liest sich lyrisch von Anfang bis Ende wie der Abgesang, der Soundtrack auf den unvermeidlichen Untergang unserer Spezies in sieben Kapiteln. Das Manifest eines «natural born categorical pessimist», wie es in einem Song heisst. Musikalisch ist das ebenso monströs wie packend, ebenso athmosphärisch wie apokalyptisch. Lyrisch ist es naturgemäss ein Selbstmordkommando.

Ob die von der Pandemie und anderer alter Plagen arg gebeutelte Menschheit im Moment genau das braucht? – Vermutlich nicht. Aber auch in friedlicheren, entspannteren Zeiten haben die fünf von ColdCell ihre misanthropische, defätistische Weltsicht verbreitet, zuletzt auf dem grossen Album Those («Lasst euch an der Hand nehmen und in die Düsternis führen»).

Warum immer nur von Friede und Hoffnung singen, wenn draussen und nun auch drinnen der Sturm peitscht? Er hört wegen ein paar Peace-Freaks ja nicht einfach auf.

Kein Zweifel: ColdCell sind die extremste und negativste Band weit herum und nicht nur deshalb faszinierend. Die Metal-Hörer*innenschaft jedenfalls reagiert mehrheitlich beeindruckt auf dieses erste Album der Band auf dem französischen Extreme-Metal-Label LADLO in Nantes.

ColdCell waren vor Corona da – mit dem selben Ziel allerdings

Dickes Warnschild also, bevor wir ColdCells Grundstück betreten:
Eine wütende Seelenreinigung geht auf dem The Greater Evil vonstatten, eine Katharsis, ohne Befreiung der Seele zwar, denn am Ende sind die sehr verehrten Hörer*innen einfach nur geplättet. Neuer Mut zu guten Taten ist weit weg. Die Erlösung ist nicht vorgesehen. «No solace / No hope / No escape.» Man nickt und macht Kaffee (so tat es immerhin euer Doc am Ende).

Sieben Songs also. Und die räumen laut und deutlich auf mit «Schöner Wohnen» und «Besser Leben», mit all den Müsterchen positiven Denkens, mit dem freudigen Deuten hoffnungsvoller Signale, mit der Möglichkeit menschlichen Lernens hin zum Guten, mit Achtsamkeitsübungen oder herbei-meditierten Erleuchtungssilberstreifen am Horizont, mit Versprechungen für Besserungen und mehr. Nein – hier endet alles, der ganze Mist.

Die Lage ist also weniger als hoffnungslos. Sagen diese rund 50 Minuten Extreme Metal names The Greater Evil sehr deutlich. Und machen wir uns nichts vor: Seit Anbeginn ist es die Aufgabe dieser Band, der «Kalten Zelle», ihren Wirt, den Menschen, von ihnen her zu zerstören. ColdCell waren also vor Corona da. Selbes Ziel allerdings. – Soviel zum Warnschild.

ColdCell © 2021 zvg.
ColdCell © 2021 zvg.

«Anwälte des Aussterbens» der menschlichen Rasse

Bös, böser, ColdCells The Greater Evil. Dieses «(noch) grössere Böse» ist wütend und scheint keine Vorschläge zur Rettung der Spezies zu akzeptieren. «There are no answers. There is no meaning» heisst es im Song «Open Wound». Und persifliert das Motto des vergangenen 45. US-Präsidenten makaber: «making atrocities great again». Zeiten der Grausamkeit, Zeiten der Sündenböcke auch, wovon der Album-Opener «Scapegoat Season» handelt, wo schon mal die irrsinnige Arbeit des Schlagzeugers «aW» in Aktion tritt.

Dabei bleibt ColdCell-Texter und Sänger «S» (alle fünf Musiker treten nur anonymisiert auf, ebenso ihr isländischer Gastsänger «W4», der die Vocals im Song «Open Wound» verantwortet) textlich immer mitten in der Realität der akutesten Baustellen auf dem Planeten. Also kein traditioneller Black Metal, kein Okkultismus, keine mystischen, über- oder unterirdischen Signale werden hier gesendet oder empfangen, keine Messen zu Low-Fi-Metal gefeiert und kein gefallener Engel verehrt.

Nein: Wut ist überall und dominiert die letzte Ritze dieser Platte. Wut, oder in seiner kälteren Endform: Hass. Hass auf das Böse, Hass auf Macht. Hass auf Dummheit. Hass auf die eigene Spezies. Hate Metal.

The Greater Evil ist mehr als Pessismus, es ist tiefer Defätismus, Nihilismus, Menschenfeindlichkeit – Haltungen eigentlich, die einst eher im Death Metal zu finden waren und weniger im klassischen Black Metal. ColdCells dichte Variante des Black Metals made in 2020 muss also keine skandinavischen Vergleiche scheuen, technisch sowieso nicht.

«Armoured In Pride», der vierte Song, verflucht unsere dekadente Verschwendung und unser Nichts-ändern-wollen-am-Lebensstandards der westlichen Gesellschaften an, und diese Anklage könnte so genauso gut von einer jungen, friedlichen Klimastreik-Aktivistin aus gutsituiertem, umweltbewusstem Upper-Middleclass-Hause verbreitet werden. Nur, dass ColdCell am Ende des Songs im Unterschied zur rettungswilligen, konstruktiven Climate-Aktivistin doch in letzter Konsequenz die Auslöschung der Menschheit vorschlagen, um den Planeten zu retten: «Wir sind die Anwälte des Aussterbens (der menschlichen Rasse).»

«Stimme des Volkes / Stimme der Idiotie», weg mit den Aluhüten
Der Song «Greatest Of All Species» zieht die Predigt wider den dominanten Homo Sapiens als Zerstörer*in der Lebensräume und Ressourcen weiter. Und ja klar: der Planet wird auch ohne uns weiterexistieren, das sei gewiss. Weil auch schon ohne uns da, vorher. Ganz zerstören können wir das Ding dann doch beim besten Willen nicht komplett, oder?

Etwas verwirrend übrigens ist der zweite Song auf dem neuen Album, der gleich heisst wie das letzte Album, nämlich, eben, «Those», (ähnlich wie der Song «Waiting For The Sun» der Doors auf dem fünften Album der Band, Morrison Hotel, erschien, obwohl der Titel Waiting For The Sun schon für das dritte Album der Band verwendet worden war – aber genug von den alten Zeiten, als es noch gar keinen Metal gab).

«Those» liest sich wie ein Pamphlet auf Fake News und Dummheit. Dabei wird das hehre, schöne lateinische Konzept der Vox Populi verballhornt: «Stimme des Volkes / Stimme der Idiotie / Ultimative Unvernunft». Am Ende immerhin soll Wissen über Verschwörungsverschwurbler*innen siegen: «Enthaupte die «Aluhüte» / Mit der Schärfe der Wahrheit / Lass sie wissen, dass sie schon immer falsch gelegen sind.» – Ob das klappen wird? Immerhin, Trump ist weg. Vorläufig.

ColdCell live © 2020 zvg.
ColdCell live © 2020 zvg.

Episch statt brutal

In den besten Momenten, im Song «Back Into The Ocean» etwa, klingen ColdCell überhaupt nicht mehr hässig und brutal, sondern ziemlich episch, wenn auch resigniert. Musikalisch schrauben sich ColdCell ganz weit hinauf in den Turm der Blastbeats und Doublebass(drum), die Band fertigt eine durchgehend imposante, mächtige Soundkulisse, angerichtet  auch mit feinem Spiel der beiden Gitarren. Eine Kulisse, die vom fletschenden und shoutenden Frontmann «S» mit nihilistischer Niedertracht durchpflügt wird, manchmal ein wenig an Joker in Gotham City erinnernd.

Am Ende dieser monströsen, monumentalen Platte sind wir nicht klüger. Doch von der Wucht, Präzision und Dichte tierisch beeindruckt. Man hängt danach vielleicht noch dem einen oder anderen Gedanken über diese eiskalte, niederschmetternde Abrechnung mit der Menschheit nach, schüttelt den Tinitus aus dem Gehörgang und macht – weil es solche Musik  l i v e  ja nicht adäquat umgesetzt zu sehen gibt – in der Küche einen starken Kaffee. Das Schwert des Verstandes ist geschärft.

ColdCell – The Greater Evil (Cover)
ColdCell – The Greater Evil (Cover)

ColdCell – The Greater Evil

(Les Acteurs de l'Ombre Productions / LADLO, Frankreich) ist am 23. April 2021 digital und als CD erschienen. Die LP erscheint nach Verzögerungen im Presswerk am 25. Mai 2021.
LP und CD vorbestellen, oder über Bandcamp.

Plattentaufe
05.11.2021 Basel, Sommercasino (Tickets)

ColdCell sind: «In» (bs, samples), «Ath» (git), «DmL» (git), «aW» (dr), «S» (voc); sowie «W4» (b voc, voc bei «Open Wound»).