Evelinn Trouble – Longing Fever: Ringen mit den eigenen Schatten
Drei Jahre nach ihrer letzten Platte kehrt Evelinn Trouble mit ihrem fünften Longplayer Longing Fever zurück. Dieser zeigt eine geradezu unheimlich gereifte Künstlerin, die es versteht, aus dem Füllhorn verschiedenster Musikgenres zu schöpfen, sagt RFV-Kritiker:
Michael Gasser
Das Wichtigste vorweg: Evelinn Trouble ist mit Longing Fever Wunderbares geglückt, ein Wurf. Zufällig ist das aber nicht, vielmehr hart erarbeitet. Die zwölf mehrheitlich in Berlin verfassten Tracks sind kompromisslos und dennoch eingängig. Sie schöpfen aus allerlei Musiktöpfen, greifen mal auf Disco-Rhythmen, mal auf jazzige Grooves zurück und erweisen sowohl dem Pop als auch dem Rock die Ehre. Es ist ein Rundumschlag, der nicht auf Krawall gebürstet ist, sondern einer Beobachtungsreise in Sachen Seelenleben gleichkommt.
Sich kontinuierlich neu erfinden
Evelinn Trouble, die aktuell «zwischen Zürich und Basel» lebt, ist in Zürich als Tochter der schwedischen Jazz-Musikerin und Gesangslehrerin Marianne Racine aufgewachsen. «In meiner Kindheit habe ich früh viel Jazz gehört, unfreiwillig», erinnert sich die Musikerin. Als Teenager mischte sie sich dann unter die Hausbesetzer*innenszene, wo sie autodidaktisch ihr Handwerk erlernte und in lauten, brachialen Industrial-Rock-Bands erste Bühnenerfahrungen sammelte.
Man kennt die Singer/Songwriterin, Musikerin und Produzentin nicht zuletzt dafür, dass sie einst von einem 15 000 Volt starken Stromschlag getroffen worden ist – und überlebte. Ihre Erkenntnis? «Ich würde nicht nochmals auf einen Zug steigen. Dafür ist mir das Leben zu wertvoll», erklärt sie.
Als Siebzehnjährige legt sie sich den Bühnennamen Evelinn Trouble zu und spielte ihr Debütalbum Arbitrary Act ein – dieses diente ihr zugleich als Maturarbeit. Bis heute verspürt die Musikerin, die sich nebenher, und so es die Zeit zulässt, auch als Frontfrau einer Black-Sabbath-Tribute-Band engagiert, den Drang, sich kontinuierlich neu zu erfinden.
Für ihren fünften Longplayer, der auch vom RFV Basel unterstützt worden ist, entschied sie sich spontan für Berlin im Winter, verzichtete aber auf ein vorbestimmtes Konzept. Letztlich sei die Arbeit ein tägliches Ringen mit den eigenen Schatten gewesen, so Trouble.
Der rote Faden heisst: Sehnsucht
Daraus hervorgegangen ist Longing Fever, das laut Pressetext einer düsteren und ernüchternden Annäherung ans menschliche Bedürfnis gleichkommt, nicht nur zu lieben, sondern auch geliebt zu werden. «Nachdem ich die Songs eingespielt hatte, erkannte ich, dass es einen roten Faden gibt – die Sehnsucht.»
Das Werk startet mit jazzigen Klaviergrooves und den Worten «cherish me, my love, and melt the ice in your chest». Da ist sie dann auch schon erstmals, die angesprochene Sehnsucht. Während «Cherish Me» mit vertrackten Rhythmen und nach Liebe heischendem Gesang aufwartet, präsentiert sich das nachfolgende und kein Jota weniger überzeugende «Higher Love», das sich um die Auswirkungen von Amors Pfeilen dreht, als perlende Ballade.
Prächtig an Troubles neuster Veröffentlichung ist insbesondere die Tatsache, dass es ihr locker gelingt, den Spannungsbogen von A bis Z hochzuhalten. Da ist «Just Wanna Vibe», das als Showtune aus den Roaring Twenties beginnt, nur um sich zu einer ebenso verführerischen wie eleganten Funk-Nummer zu entwickeln. Hervorzuheben gilt es zudem das melancholische und leise treibende «Maria», das sinnsuchende «Roadkill» oder «Abundance Of», mit dem Trouble auf die Tanzfläche lädt.
Viele Genres und Inspirationen – eine Stimme, die fokussierter denn je klingt
Aus Sicht der Musikerin ist das von ihr selbst produzierte Longing Fever ein Pop-Album: «Damit meine ich, dass ich versucht habe, so klar, kompakt und auf den Punkt zu sein, wie ich nur konnte.»
Fakt ist, dass sich ihre Sounds zwar von vielen Genres inspiriert zeigen, das Resultat aber gleichwohl äusserst homogen und wie aus einem Guss wirkt. Vielleicht auch, weil der Gesang von Evelinn Trouble fokussierter denn je klingt. «Lange hatte ich Probleme mit meiner Stimme. Weil ich sie überlastet habe, war diese oft müde.» Weshalb sie die Reissleine ziehen musste und sich Hilfe suchte. Diese fand sie in Form der Belcanto-Technik. «Das ist wie Yoga für die Stimme», sagt Trouble und verdeutlicht, dass dafür konstantes Dranbleiben gefragt ist.
Und wie fühlt sich Evelinn Trouble jetzt, kurz bevor Longing Fever veröffentlicht wird? «Voller Vorfreude und gleichwohl leicht nervös.» Während sich Letzteres zweifellos bald einmal legen dürfte, wird sich Ersteres über kurz oder lang aufs Publikum übertragen, denn wie eingangs erwähnt: Diese Platte bietet Wunderbares und ist ein Wurf.
Evelinn Trouble – Longing Fever
(Mouthwatering Records) erscheint am 22.10.2021 als LP, CD und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel. LP + CD auch hier erhältlich.
Evelinn Trouble live
24.10.2021 Sierre, Muraz, PALP Festival
Aktuelle Live-Daten auf der Website der Band.