Taranja Wu – Dance With Taranja Wu : Superheldin mit Knarre
Fünf Jahre hatte die Basler Musikerin, Produzentin und Komponistin «Taranja Wu» mit ihrem Partner Olifr M. Guz als Duo «Naked In English Class» Musik gemacht. Fast vier Jahre nach Guz' Tod kommt sie nun als Solo-Act zurück auf den Plattenteller. Kurzversion: Hier knallts ganz schön bis unschön!
Chrigel Fisch
Taranja Wu, das Basler Ein-Frau-Kraftwerk, schliesst mit dem ersten Album ihres Solo-Projekts fast nahtlos an die fetzig-subversiven Produktionen ihres stillgelegten Duos «Naked In English Class» mit Olifr M. Guz an. Ist Ihre neue Musik also etwa nach dieser Formel hier zu lesen und zu hören?
Naked In English Class ./. Partner Olifr M. Guz = Taranja Wu2
– Ja, warum nicht!
Nur: In Taranjas eigenen Songs wird doch alles etwas rabiater, härter und manchmal blutiger verhandelt. Die mysteriöse Superheldin zeigt auf Dance With Taranja Wu ihr gellendes, hartes Gesicht. Natürlich spricht aus dem Todernsten auch eine Menge morbider Humour Noir.
Apropos Superheldin: Ist sie das?
Unbedingt. Und zwar eine mit einer Mission. Und sie hat eine Knarre. In die Ernsthaftigkeit der 13 Songs mischt sich eine comic-haft überzeichnete Brachialität, die aus der Superheldin auch mal einen Racheengel macht. Sie tanzt sich und uns die Wut aus dem Bauch, und manchmal auch die Trauer, wie im Song «Drinking Alone»: Wenn es einsame Nacht geworden ist, der Platz im Bett neben ihr kalt bleibt und kein Geruch des Liebsten mehr in den Kleidern und Lieder hängt, trinkt sie sich die eisige Trauer vom Leib. Diese Trauer und Wut, ist dann sehr real, für die Frau, die hinter Taranja Wu steckt und deren Namen hier nicht verraten wird.
Warum es Naked In English Class nicht mehr gibt
Mit Oliver Maurmann aka Olifr M. Guz (Frontmann der Aeronauten und als Guz auch Solomusiker) hatte Taranja für vier Platten das schnittige Duo «Naked In English Class» durch die Clubs getrieben. An dieser Stelle ist die Musik des Duos mal als «Rettungsaktion für frühe, entlegene und vergessene Rebellenmusik der 50er, 60er und 70er Jahre» eingeordnet worden, «ein Upcycling der besonderen und ab und zu sonderbaren Art.» (Hier gehts zum Artikel) Zum Beispiel ihr 2018er-Remake von «Pogo Dancing» (1977, von Chris Spedding & The Vibrators), die Taranja mit einem ulkigen Addams-Family-Video unterlegte und den Track so auf über 335'000 Youtube-Plays hoch-shakte. Wunderbarer D.I.Y.-Klassiker!
Die düster polternd bis positiv fetzige, aber immer liebevoll primitiv gehaltene Musikproduktion endete jäh, als Oliver Maurmann im Januar 2020 an einem Herzleiden viel zu früh starb. Taranja wollte die gemeinsam begonnene Platte fertigstellen und lieferte exakt ein Jahr nach Maurmanns Tod schliesslich das letzte Werk von «Naked In English Class» ab. (Artikel)
Es geht um Spass und Wut, es geht um alles!
13 Tracks bietet Taranja nun dem mutigen Homo danceflooriensis an, mit Titeln, die an Comic-Figuren, düstere Ladies, Horror Punk, B-Movies und Geschichten aus dem weirden Underground erinnern: «Leonora», «Carlotta», «Amy», «Alyssa and James», «Finger On The Trigger» oder auch mal ein blutig-böses Schlaflied wie «Gracie's Lullaby». Das Schlaflied, das eher tödlich wirkt, kommt immerhin mit runtergepumpten, relaxtem Beat um die Ecke geschlichen und würde auch für die Aftershow-Party eines Grace-Jones-Konzerts funktionieren. Ansonsten fegen die Tracks mit hoher BPM-Zahl des Drumcomputers über den Tanzboden und wenn der Beat anfängt weh zu tun, kennt Taranja keine Gnade und schiebt das Volume noch höher.
Die sloganesken Texte machen auch keine Kompromisse:
- «When you are happy / I feel bad!» – («Carlotta»)
- «I'm working off my arse / I want my arse back! / (Computerstimme: 'Game over'» – – «Amy»)
- «I want money / That's what I want / That's all I need» – («Money»)
- «If I had a gun / I wouldn't be diggin' your grave» im hoch dramatischen «Alyssa And James», einem Track, den Taranja in ihrer Kompositions-Ausbildung für eine Filmszene in der darken TV-Serie «The End Of The F***ing World» geschrieben hat.
- «Twenty brains in my head! / Five thousand stories in my head / A million voices in my head» – («Leonora») – ganz gesund ist diese Vorstellung nicht, die röhrenden Hot-Rod-Surf-Gitarre verstärkt den Eindruck.
- «Skin» – für einmal ätherisch, blubbernd und schlingernd treibt dieser Track durchs nebelverhangene Unterholz.
Es geht also um alles, doch oft auch um diesen morbiden Spass, den ihre Kunstfigur mit hämmernden Beats, Shuffles und viel Hall in der Kommando-gellenden Stimme in die Welt setzt und auf den Dancefloor bläst.
Rebellion der Trauer & Music for the Misfits
Doch Vorsicht: Die Retro-Future-Trash-Thrash-Industrial-Tanzmaschine mit ihren harten Beats und sägenden zahnarztbohrerkreischenden Synthieklängen ist sicher nicht der passende Soundtrack zum Frühlingsfest des Waldorf-Kindergartens. Ein recht hoher Punk-Garage-Surf-Rock'n'Roll-DNA-Anteil, etwas Dunkle-Gruft-Erfahrung und Kenntnisse zu psychischen Abgründen werden schon vorausgesetzt für Taranja Wus Tanzlektion.
Schliesslich ist dies, können wir mal zusammenfassen, «Music for the Misfits», und dieses Mal ganz ohne Bezug zu verschollenen Song-Klassikern vergangener Subkulturen. Der Tod aber hinterlässt tiefe Spuren, und wenn Taranja Wu ihre Songtexte auch als «Rebellion der Trauer» versteht, kann Zuhören gar nicht falsch sein. Darauf trinken wir! Und wer noch kann, der*die tanzt, bis es nicht mehr weh tut.
Taranja Wu – Dance With Taranja Wu
Erscheint am 24. November 2023 als LP, CD und digital bei Ikarus Records und kann im Shop bestellt werden. Unterstützt wurde die Platte durch den RegioSoundCredit 2023/2.
Verlosung
Wir verlosen ein Exemplar der Vinyl!
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Es wird keine Korrespondenz geführt.
Plattentaufe
- 23.11.2023 Basel, Humbug, mit Batbait & Landi Bandi
Tour
- 02.12.2023 Bern, Café Kairo
- 14.12.2023 Biel/Bienne, Café du Commerce
- 15.12.2023 Baden, Royal
- 20.12.2023 Zürich-Schwamendingen, Kegelkonzert Ziegelhütte
About Chrigel Fisch
Der Berufslanghaarige stiess 1992 zur Basler Bevölkerungsstatistik und kümmerte sich seither praktisch unbestechlich um Bands und Musiker*innen von hier: 1993–2000 im Musikbüro der Kaserne Basel, danach beim BScene Clubfestival, beim Jugendkulturfestival JFK, ab 2004 als Manager der Laufentaler Rock-Rakete Navel, 2009–2022 beim damaligen RFV Basel als Kommunikator, Berater und Erfinder von «Bands of Basel» sowie Doktor Fisch; immer auch als Musik- und Satireschreiber, Jurymitglied bei diversen Contests und als Erschaffer des E-Bandmanuals «Rockproof – Alles für Deine Band».
Ausserdem MAZ-Luzern-Absolvent und Verfasser schlecht verkäuflicher Bücher. Vater und Hausmann. Gegen jede Macht.
Das SRF Regionaljournal weiss mehr.