Aktomungg - Rien Faire: Von Gartenzwergen, Aliens und Pirat:innen
Schon mal darüber nachgedacht wie euphorische Tanzmusik mit ätherischen Wesen klingen könnte? Nein? Ich auch nicht.
Aktomungg beweisen auf ihrem Debütalbum kreative, ja chirurgische Präzision in der Dekonstruktion von zeitgenössischen Musikstilen. Und das Allerwichtigste? Sie scheinen hörbar Spass daran zu haben.
Claudius Skorski
Die zwei Basler Musiker und Produzenten Jo Flüeler (Yumi Ito, Silent Neighbor, Aktomis) und Moritz Widrig (Panda Lux, Mungg) verarbeiten in ihrem neuen Herzensprojekt alles an Genres und Texten, was sie gerade geil finden. Eklektisches Songwriting gekoppelt mit absurden, ätherischen Vocals. Euphoric Pop mit vermeintlich naiven Texten.
Ist dieser Archetyp von zeitgenössischem Hyperpop einfach wahnsinnig gut oder doch eher anstrengend? Mit einer nicht so hohen Aufmerksamkeitsspanne gesegnet , fällt es dabei eher leicht von diesem Album nicht gelangweilt zu werden. Denn dieses Album ist alles andere als Liftmusik.
Aktomungg - Drungg
Ein grosser euphorischer Trance-Rave mit ätherischen Wesen? Aktomungg!
Es kann sich zwar vielleicht nicht entscheiden, aber muss es das überhaupt? In Zeiten von dynamischen Beziehungsformen und neuen Erwerbsarbeitsstrukturen trifft die Musik von Aktomungg den Nerv der Zeit. Mit chirurgischer Präzision zerlegen die Musiker Elemente aus den verschiedensten Einflüssen und vermengen diese in ein spannendes eigenständiges musikalisches Gebilde wo Musikstile dekonstruiert und umgeeignet werden.
Heftige Gabber-Bumm-Bumm-Trance Raves treffen auf zuckerwatte-süssen Nuller-Jahre-Pop. Ausserirdische Gesänge gesellen sich zu cineastischen Streicher- sowie funky Flöten-Arrangements und schweben gemeinsam auf einer ätherischen Soundcloud. Die Genres tanzen zusammen Ringelreihe und irgendwie scheint alles einen roten Faden zu haben.
Hyperpop. Das ist dieses Genre, das alles in Frage stellt, sich nicht entscheidet und jegliche Konzepte von eigenständigen Musikstilen kategorisch ablehnt. Falls du noch nie was davon gehört hast, dann hör in die Musik von Künstler:innen wie Charli XCX, Underscores, 100 gecs oder in die Schweizer Band HATEPOP rein - oder eben und darum sind wir ja da - in die Musik von Aktomungg.
Near, far, wherever you are..
Drowning ist wohl der Poppigste und Eingängigste auf dem Album. Von Sekunde eins ist er da dieser Vibe eines ganz grossen Popsongs voller Dringlichkeit und Emotionalität. Wie einer von Celine Dion’s Hits – doch ganz anders. Drowning ist ein Popsong, der dich emotional berührt, aber genug Understatement bewahrt und nicht viel Platz einnehmen muss.
«put my head down underwater, hold my breath and I don’t bother, I just wonder how it’s like to drown»
Das singende Wesen von Aktomungg steckt sich im Song den Kopf unter Wasser, hält die Luft an und fragt sich wie es wohl wäre zu ertrinken. Dabei schmiegt sich die fluide Stimme mit subtilen Unterwassereffekten ganz sanft um die Synthies, als würde sie sich voller Herzschmerz an etwas festklammern müssen, auf die grosse Rettung wartend.
Clevere Arrangements bauen den Song fast schon cineastisch Stück für Stück auf. Dabei kleidet sich der Refrain zunächst als vermeintliche weitere Strophe. Als die Hook einsetzt und der Refrain wiederkommt, passt alles.
Near, far, wherever you are.. Doch das ist nur die Spitze vom Eisberg.
Düster, wütend, kreischend
Stell dir vor der Endgegner im Monster Zombie-Splasher-Takken-Video-Spiel von 2004 ist da und hat dich besiegt. Das Pirat:innenlied πR8 (in Kollaboration mit Lev Tigrovich) ist ein düsterer, wütender und kreischender Hard Style-Song und wahrlich eine grosse Nummer auf der Platte. Ich lese da Referenzen zu IC3PEAK oder t.A.T.u. Voller dystopischem Pathos und ordentlich aufs Gaspedal getreten, pumpt der Song komisch verschoben in die Unendlichkeit.
PS: Falls dir der Song gefällt, zieh dir die Rezension zu Lev Tigrovich vom Kollegen JJ. rein. Grüsse gehen raus.
Gartenzwerge, i love you too
Bei «Get Gnomed» scheppert der Drum-Computer vor sich hin, sphärische Synthies schimmern und ätherische Gartenzwerge singen ein Liebeslied. Sofort bin ich eingelullt in dieses süsse Lied (auch weil ich eine persönliche Verbindung zu Gartenzwergen habe). Als dann die kitschig anmutenden Flöten und Streicher kommen, denke ich mir: ja liebe Gartenzwerge, i love you too!
Wieder schaffen es Aktomungg – eklektisch wie sie sind – zehntausend Dinge zu verschmelzen. Ich höre in dem Song Anteile von Beach House, Gorillaz, Japanischen Anime, Rosamunde Pilcher, Strassenmusik mit Playback und Live-Panflöte, etc.
Ja, Get Gnomed hat etwas Ausserirdisches und doch so Bekanntes. Was für ein schöner Song.
Genre-übergreifende Kernschmelze mit Hühnerhautgarantie
Aktomunggs Rien Faire ist jetzt nicht unbedingt Musik, die ich meiner Grossmutter zeigen oder laut im Büro hören würde. Aber wenn ich DJ wäre, würde ich gerne mal einen der verspielten Songs vom Album auf fetten Funktion-One-Lautsprechern abspielen lassen. Aktomungg liefern uns mit ihrem Debüt-Album eine genre-übergreifende Hyper-Pop-Kernsschmelze. Was zu weilen zu einer akustischen Überreizung führen kann, beschert aber nicht nur wenige Hühnerhautmomente.
So geht das.
Aktomungg - Rien Faire
Das Album erscheint im Label Sàd Records, das sich rund um verschiedene Musiker*innen und Komponist*innen in Basel gebildet hat. Streambar auf allen üblichen Plattformen. Unterstützt wurde das Album durch den RegioSoundCredit 2023/1.
Aktomungg
Beiträge
5 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2023
About Claudius Skorski
Claudius Skorski (*1993 in Basel) studierte Soziokulturelle Animation in Luzern, Bildende Kunst in Basel und Wien und ist als Musiker, Bildender Künstler und Kulturschaffender tätig.
Mit diversen Musik-Projekten (u.a. Saitün, Hank, Space Tourists, Gustav Gurke) tourte der Basler in der Vergangenheit bereits auf den verschiedensten Bühnen im In- und Ausland (u.a. Fusion Festival, ESNS Groningen, Kaserne Basel, Bad Bonn Düdingen, Moods Zürich).
Seine Installationen, Performances und Kollaborationen wurden in verschiedenen Kunsträumen und Festivals gezeigt, (u.a. Baby Angel Zürich, Akademie der Bildenden Künste Wien, Museum Tinguely Basel, Act PROGR Bern).
Neben der Bühne hat sich der Basler auch viel für Musik und Community engagiert. Früher u.a. als Booker (Hill Chill, Lauter), als Mitglied in Fachgruppen und Vorständen (GGG Kulturkick, Junge Kultur Basel) oder heute in der Co-Leitung vom Kulturbetrieb Sudhaus.