Jules Hildebrand – Ante Bellum: Zwischen Hoffnung und Abgrund

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Jules Hildebrand © Ruth Ten
Jules Hildebrand © Ruth Ten

Unter dem Titel «Ante Bellum» veröffentlicht der Basler Musiker und Komponist Jules Hildebrand ein durchdringendes und vielseitiges Werk, das sich dezidiert mit der Fragilität von Kommunikation und den zerstörerischen Folgen ihres Scheiterns auseinandersetzt. In neun eindrücklichen Tracks webt der Künstler zwischen Hoffnung und Abgrund ein einzigartiges musikalisches Netz, das vom langsamen Schwinden der Zuversicht, hin zur unausweichlichen Zerstörung reicht.

Album Review

Vielfalt, Neugierde und Tiefgründigkeit charakterisieren das künstlerische Tun des Basler Künstlers Jules Hildebrand. Sein neustes Werk «Ante Bellum», das auf dem Label «FOG Studio» erscheint, akzentuiert diesen Umstand gekonnt, indem es zu einer beeindruckenden und durchdringlichen musikalischen Reise einlädt. «Ante Bellum» markiert das erste Solo-Album von Hildebrand und vereint in insgesamt neun Tracks die unterschiedlichsten experimentellen Gefilde der elektronischen Musik. Mit flatternden Drone-Sounds und einer spannenden Kombination aus Ambient-, Noise- und Industrial-Klängen, schafft der Musiker ein einmaliges Werk.

So greift «Ante Bellum» in seiner unvergleichlichen Ästhetik die fragile Dynamik auf, die zwischen friedlicher Koexistenz und Konfliktausbruch besteht. Hildebrand reflektiert in dieser Arbeit den Zusammenbruch der Kommunikation und illustriert, wie Missverständnisse und Sprachlosigkeit in Konflikten münden können. Dabei orientiert sich die Struktur des Albums am sogenannten «Phasenmodell der Eskalation» des österreichischen Ökonomen Friedrich Glasl. Das Modell gliedert die Eskalation von Konflikten in neun, beziehungsweise drei Hauptphasen – Win-Win, Win-Lose und Lose-Lose. Entlang dieser Reflektion greift Jules Hildebrand auf seine experimentellen Sounddesign-Techniken zurück und schafft ein in sich stimmiges Werk, das sich von anfänglich harmonischen Klanglandschaften, hin zu dramatischen, dissonanten Kompositionen entwickelt.  

Hildebrand, der nebst seinem Musiker-Dasein auch als Audiodesigner arbeitet und Mitbegründer des Labels «Dream Channel» ist, beherrscht das Geschichtenerzählen auf eine imposante Art und Weise. Mit den vielseitigen Dimensionen und erzählerischen Strukturen, welche die elektronische Musik insbesondere im Bereich von Avantgarde, Ambient und Experimental mit sich bringt, setzt er sich unter anderem auch bei seiner Tätigkeit als Co-Direktor des Basler FOG Festivals (Festival offener Genres) auseinander.

«Ante Bellum»: Zwischen Hoffnung und Abgrund

Entlang der Album-Struktur weist der Opener des Werks – «Prelude» – die Richtung an: Hildebrand baut eine beeindruckende Spannung auf, indem er Schwere und Leichtigkeit kollidieren lässt. Die im Zentrum stehende Fragilität ist bereits hier deutlich hör- und spürbar. Doch: Noch scheint alles offen, noch verlauten die eindringlichen Klänge Hoffnung und Harmonie. Dann bricht Hildebrand in das Stück «Un silenzio assordante» auf. Gesprächsfetzen erklingen – zuerst klar, teils verzerrt und sich überlappend und dann verschwinden sie wieder. Worte, die Misskommunikation und das aufkeimende Scheitern des Austauschs vermuten lassen. Begleitet werden sie von sich anbahnenden Synth-Lines, die sich über den Track hinweg langsam intensivieren und sich gegen Ende des Stücks gar in aufwühlende Gefilde verstärken, um dann in einem spektakulären Drum-Finale zu enden. Und dann hallt diese Intensivität für eine Weile nach. So wie Nebel, der aufzieht und sich langsam, jedoch beharrlich, über die Landschaft legt – ob er sich auflöst oder liegenbleibt?

«The Gallows» folgt nicht weniger intensiv. Die Sounds werden schärfer, bauen weiter aufeinander auf und unterstreichen Hildebrands Talent für die Dramaturgie. Im Folgestück «A Field» erklingen satte Klänge, die auf eine einzigartige Weise eine weiche und dennoch bedrohliche, orchestrale Ästhetik aufweisen. Hildebrand verweist damit wehmütig auf die Verschärfung des Konflikts – es scheint nun nur noch Gewinner oder Verlierer zu geben. «Absolution» spricht dann in der Folge für sich – eine experimentelle Komposition, deren anfangs fragile, dann durchdringende, verzerrte Drone-Sounds die Gefahr der Willkür aufzeigen. Ein Geläut im Hintergrund beendet das Stück. «Fragment» legt sich nachfolgend wie ein eisiger Wind mit grazilen Klängen über die Nebeldecke und verwandelt diese endgültig in Raueis.

In «Vulture» eröffnet sich dann der Abgrund der Tragödie, die Hoffnung ist längst verschwunden. Hildebrand bringt skurrile und harsche Störgeräusche auf ein brachiales Klang-Fundament und läutet damit die letzte Phase der Eskalation ein. Das Stück «Bruise» folgt dann äusserst eingehend und rückt die mit der Eskalation in Verbindung stehende Vulnerabilität ins Zentrum. «Tyomnaya Noch» referenziert zum Ende hin das von Mark Bernes erschaffene Werk «Dark Night» aus dem Jahre 1943, in dem eine Frau mit ihrem Kleinkind während eines tödlichen Kampfes auf einen Soldaten wartet.

Jules Hildebrand hat mit «Ante Bellum» ein tiefgreifendes Werk geschaffen, das sich vom langsamen Schwinden der Hoffnung, hin zur unausweichlichen Zerstörung bewegt. Hildebrands minutiöse und experimentelle Sound-Ästhetik ist einzigartig und das Album ein Kunstwerk, das in seiner Intensität, Kreativität und Aktualität und noch lange nachhallt. 

Jules Hildebrand - Ante Bellum, 2025
Jules Hildebrand - Ante Bellum, 2025

Jules Hildebrand - Ante Bellum

Das Album ist am 7. Februar 2025 beim Label «FOG Studio» erschienen und auf allen Plattformen streambar erschienen. Unterstützt wurde das Album durch den RegioSoundCredit 2024/2.

Jules Hildebrand

Jules Hildebrand © Ruth Ten
Jules Hildebrand © Ruth Ten
13/02/2025

6 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2024 (unter dem Namen Ostrov)
 

About Aline Fürer

Aline Fürer verantwortet die Redaktionsleitung des Online-Portals ubwg.ch (Unsere Beweggründe GmbH), das sich mit der elektronischen Musik- und Clubkultur in der Schweiz auseinandersetzt. Zudem ist sie als Musik- und Kulturschaffende in verschiedenen Projekten und Mandaten tätig – so hat sie unter anderem bei der ‘Techno Worlds’ / ‘The Pulse Of Techno’-Ausstellung in der Photobastei mitgewirkt, schrieb schon für das Groove-Magazin in Berlin und engagiert sich für diverse Musik- und Kulturinstitutionen- und Projekte in der Schweiz – so unter anderem für die Zukunft (Bar3000 / Waxy Bar), das m4music Festival oder die Zurich Music Week (ZMW). Als DJ und Produzentin gehört sie dem Zürcher Label Les Enfants Terribles (L.E.T) an und führt zudem ihr eigenes Event- und Musiklabel ‘The Pluto Question’ (TPQ).

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