Marytronics – Dull Star Doll: Ein epischer Battle zwischen Perfektion und Kontrollverlust

Zwei klassisch ausgebildete Musikerinnen brechen aus und veröffentlichen ein beachtliches Debutalbum für die intensiven Momente im Club.
Nik von Frankenberg
«Klassische Musik» als Arbeitsfeld, das war Marie Delprat und Masha Ten irgendwann zu limitiert. Die Auswahl traditioneller Standards ist begrenzt und moderne Ansätze laufen Gefahr, sich im Labyrinth immer abstrakterer Ideen zu verlieren. Und bei allem faszinierenden Fokus auf Präzision und historischen Kontext leiden beide Herangehensweisen letztendlich an ihrem exklusiven und abgeschotteten Korsett «ernster Musik». Als akademisch ausgebildete Musikerinnen konfrontieren die beiden nun diese künstlerische Einengung mit ihrem eigenen Drang nach kreativer Freiheit und wählen dafür einen naheliegenden Ort: den Club.
Dort, im Dunkel der Tanzfläche, wo in marginalisierten Kreisen vor Jahrzehnten die Abkehr aller bisher definierter Musikalität geboren und dem Hedonismus und der feiernden Gemeinschaft untergeordnet wurde, entsteht in ihrem Projekt Marytronics ein organisch-technisierter Raum aus Rhythmus, Dissonanz, Emotion, Präzision und eben Freiheit.
Inspiriert ist nicht kopiert
Inspirationen aus dem Kosmos der Clubkultur sind auf ihrem Album «Dull Star Doll» durchaus erkennbar: Die Kickdrums sind satt, sie pumpen mal linear «deutsch», mal gebrochen «britisch» und schaffen im Zusammenspiel mit drückenden Bassdrones das nötige Fundament für Hüften und Magengrube. Darüber entstehen und zerfallen organische Klangschichten aus Synthesizern und Stimmfetzen, mal in vertrackter Autechre- oder Aïsha Devi Tradition, mal in episch-melodischen Spannungsbögen wie sie einst von Ada oder James Holden zelebriert wurden.
Dabei bleiben sich Marytronics vor allem selbst treu und kreieren ihren wohltuend eigenen Stil, der sich weder in Beliebigkeit, noch in gesuchter Abstraktion verliert. Vielmehr spielen sie gekonnt damit, technisch exakt auf den Punkt zu produzieren und dabei trotzdem ein lebendiges Werk zu schaffen. Genau das ist das Schöne an ihrem Album: die beeindruckende klangliche Perfektion des Sounddesigns ist stets Instrument und nie Selbstzweck.
Ein Album als Set
Mit Monotonie wird ebenso gespielt wie mit Brüchen, mit minimalistisch leerem Raum ebenso wie mit totaler Verdichtung im Strobonebel. Die drei (oder vier, je nach Lesart) Stücke sind sowohl als separate Elemente einsetzbar, z.B. in einem DJ-Set, oder wie in ihrem Live-Set als 45-minütiges Gesamtwerk: «Stasis» bietet den dunklen, minimalistischen Groove zum Warmup, das zweigeteilte «Agitated Heart» erforscht abstrakte Polyrhythmik und das wuchtige «%MDMT%» katapultiert einen direkt auf die Mitte eines gepackten Dancefloors, bis es uns mit einem emotionsgeladenen Finale ins Morgengrauen entlässt.
Ein spannendes, mutiges Debut, das unbedingt in seinem Habitat erlebt werden sollte.

Marytronics – Dull Star Doll
Das Album ist am 14. Februar 2025 erschienen und ist als Stream überall verfügbar. Unterstützt wurde das Album durch den RegioSoundCredit 2024/3.
Marytronics sind Masha Ten & Marie Delprat
Live
Marytronics performt Dull Star Doll am 18. Februar im Gare du Nord in Basel.
Die Verlosung ist abgeschlossen.
Marytronics

7 000 CHF | RegioSoundCredit Tour & Tonträger | 2024
About Nik von Frankenberg
Nik von Frankenberg ist Produzent für Podcasts, Soundtracks und eigene Entwürfe der Clubmusik, angesiedelt irgendwo im Spannungsfeld von Techno, Jungle, Hardcore und ihren modernen Ausprägungen. Jahrzehnte des masslosen Konsums spannender Musik und der entsprechenden Begleitmedien durfte er als Musikredaktor, Jurymitglied, Broadcaster und Hobbyjournalist auch auf gesellschaftlich akzeptierten beruflichen Wegen anwenden.
Durch seine Aktivitäten als DJ, Veranstalter und Freund des Feierns mit Musikbegleitung kennt er die Clubkultur und ihre Entwicklung im In- und Ausland von allen Seiten.