Asbest – Driven: Soundtrack zur Panikattacke
Am Ende ist es immer Musik. Und die (Sub)kultur, in der sie sich Gehör verschafft. In diesem Sinne: Asbest machen dröhnende, kreischend laute, komplexe, präzise Musik. In your face and in your heart und auch das Hirn hat zu tun. Noise Rock also, Post Punk, Screamo, aggressive und verzweifelte Musik, geboren aus Angst, Ablehnung, Anderssein. Der handgefertigte, dramatisch inszenierte Soundtrack zur Panikattacke. Aber da ist doch mehr als Musik. Die Schönheit des Analogen zum Beispiel. Und Reinigung.
Doktor Fisch
Wir haben hier nicht viel Zeit, die Deadline längst vorbei, Plattentaufe vor der Tür, deshalb: Asbest gibt es erst seit zwei Jahren, eine EP namens Interstate sprach im November 2017 schon mal Klartext über die Art und Weise, wie das Basler Trio seine Mission versteht: Wut, Noise und Schwarz-Weiss als Konzept. Verweise zu Shellac, Life Of Agony, Swans oder The Birthday Party waren schnell gemacht, heute würde ich die Band Cows aus Minneapolis dazupacken, die in den 90ern wohl eine der gefährlichsten und irritierendsten Spielarten von Alternative Rock unter die Leute warf.
Jedoch, langweilige Verweise. Asbests erste Single vom neuen Album, der Song «They Kill», war bereits Video of the week in unserem kleinen Universum. Und wenn man jetzt schon eines konstatieren kann: Asbest haben es in zwei Jahren fast aus dem Nichts heraus fertiggebracht, komplett eigenständig und absolut aussergewöhnlich zu klingen – selbst durch die geschlossene Kerkertür hindurch.
Ein Konzept, ein Drama, viel Wut und Düsternis
Der Opener ist auch der Titelsong – «Driven» – und der führt uns auf der Doom-Spur in die verdunkelte Kammer von Asbest ein, die, ausgehend vom Cover-Artwork, auf ein sehr klares Konzept baut: Irgendwo zwischen der Tatsache, dass der Mensch – einfach mal mit den Worten Jim Morrisons gesprochen – schon bei seiner Geburt eigentlich chancenlos in die Welt geworfen wird: «Into this world we're thrown / Like a dog without a bone / An actor out on loan / Riders on the storm».
Musikalisch haben Asbest und The Doors natürlich nichts miteinander zu tun, aber die Stimmung, die Asbest produziert, rückt die Frage nach dem Menschwerden und Menschsein doch sehr klar ins Zentrum. Das Cover-Artwork (von Asbests Frontfrau Robyn Trachsel) zeigt uns wissenschaftliche Zeichnungen: Uterus-Nabelschnur-Fötus, Herz, Hirn, Auge, eine Statue, die ihre Augen bedeckt, der Grundriss einer Wohnung. Das beschwört eine seltsame Beklemmung herauf, eine Fährtenlosigkeit, normierte Lebenspläne, die Erinnerung an zerbrochene Träume, ein Aus-der-Zeit-Gefallen-Sein, die schmerzhafte Gewissheit, betrogen worden zu sein, von Anfang an.
«Deceit» führt die Wut von «Driven» weiter, schleppend, schreiend, pechschwarz. «Means Of Reproduction» zaubert über simplem Basslauf und Drum-Figur ein kammermusikalisches Drama mit Gespensteratmosphäre. Überhaupt kommt dieses Album wie ein archaisches Bühnenstück daher, und die ersten vier Songs bilden den 1. Akt.
«I Need A Spacesuite To Leave My Home» beschliesst den ersten Teil des Albums mit einer Spoken-Word-artigen Einlage, Tiefenrauschen und einer todtraurigen Pianofigur, die mich atmosphärisch – hallo ihr verwaschenen 90er Jahre! – an The Grifters’ Song «Piddlebach» erinnert hat. Ein Song, den ich – falls das jemanden interessiert – immer dann höre, wenn die grauen Tage ihre Existenzberechtigung wieder mal darin sehen, meine Kammertür von aussen mit prall gefüllten Sandsäcken voller Sorgen und Mühsal zuzumauern. «I Need A Spacesuite To Leave My Home» also, das «Piddlebach» für das 21. Jahrhundert, vielen Dank.
Die bist vollkommen allein auf dieser Welt – oder doch nicht?
«Chain Reaction» als Opener des zweiten Teils der LP bringt den 2. Akt des Dramas. Die Sängerin spricht: «I‘m knocking over / A chain of dominoes / That has been standing there long before it fell.» Kettenreaktionen, Dominosteine, die Zeit, das Fallen. (Gerade jetzt liegt die LP- und CD-Pressung von Driven noch gar nicht vor, hoffentlich dann zur Plattentaufe am 12. Oktober in der Kaschemme Basel, denn die Songtexte als Beiblatt wären sehr hilfreich, um das Drama, das Robyn Trachsel und seine Mitmusiker*innen in Szene setzen, auch den Worten entlang verstehen zu können).
«Pillar» fährt den Wagen mit todtrauriger Schönheit geladen hinaus aufs abgeerntete Feld, auf das bald der erste Schnee fallen wird. «You are all alone in this world», heisst es irgendwo im Song, bevor die Sound-Wand über die Melancholie hereinbricht. Das schnürt einem nicht nur die Kehle zu.
Doch da folgt bereits «They Kill», siehe oben. «They kill the happy ones first» variiert das Thema des totalen Ausgeliefertseins, des uns umzingelnden Bösen dieser Welt, das meistens doch leichter obsiegt als das Gute. Wut gegen Ungerechtigkeit. Das ist die Grundstimmung am Anfang dieses Jahrtausends. Asbest sind nicht die einzigen, die dies beklagen und dem Digitaliserungswahn ihr analoges Menschsein entgegenhalten, aber sie packen die Verzweiflung in das schönste Gewand.
«Persona Non Grata» übersteuert das düstere Szenario zum Schluss des Albums mit einem Weinkrampf, mit einer letzten grossen Anklage, bevor sich der Song zu seiner Erlösung hinaufschraubt. Das alle ist ungeheuer transparent und wuchtig produziert (Dominic Mitchison, Malthouse Studios, Bristol), ein präzises, energiegeladenes und durchdachtes Debütalbum einer Band, die zu den interessantesten und trotzigsten des Landes gehört.
Geboren im falschen Körper und auf der langen Reise zum richtigen
Dass Driven nicht einfach kalt, laut und sperrig, sondern sehr wohl warm, abwechslungsreich und dynamisch daherkommt, hat einerseits mit dem künstlerischen Anspruch und musikalischen Know-how der Band zu tun. Andererseits natürlich mit der Sängerin, Texterin und Gitarristin Robyn Trachsel. Ihr Leben als Transfrau, geboren im falschen Körper und auf der langen Reise zum richtigen, spiegelt sich in der Düsternis einer zu-Tode-optimierten Welt, die ebenso in einem falschen Körper zu stecken scheint, wenn sie keinen Platz mehr für Andersartige hat.
Eine doppelte Negierung des Lebens eigentlich, doch genau hier funktionieren Asbest als Opposition mit lauter Stimme, der man sich gerne anschliesst. Asbest verlangen viel, ja, aber sie geben den Hörer*innen auch eine Menge zurück. Am allermeisten: Menschlichkeit.
Katharsis, Baby!
Was aber hält denn die Gebeutelten und Andersartigen, was hält diese Band davon ab, ob all der düsteren Realitäten in einer Kettenreaktion von Panikattacken, in einer umfassenden Depression ohne Rückkehr zu versinken? Genau: die Musik, die Worte. Die Musik, die – im präzisen Rausch eines Live-Konzerts oder einer Listening-Session zuhause – mehr Heilung als Anstrengung ist für den Patienten. Also für sie, für uns, für die übergeschnappte Welt da draussen. Katharsis, Baby!
In diesem Sinne: nehmet Platz, schiebet die Gangschaltung von P auf D(rive) und taucht ein in dieses atemlos bestürzende, grossartig eingeschwärzte Drama namens Driven. Bühne frei.
Asbest – Driven
(A Tree In A Field Records / Czar Of Bullets, Basel) ist am 28. September 2018 als LP, Collector's Edition-LP, CD und digital mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel erschienen.
Asbest sind: Robyn Trachsel (git, voc), Judith Breitinger (bs, b voc) und Jonas Häne (dr, auch bei Heavy Harvest).
Plattentaufe
12.10.18 Basel, Kaschemme
Aktuelle Live-Daten auf der Website der Band (unten die Band-App öffnen).
Verlosung
Der RFV Basel verlost 2 CDs von Driven. Teilnahme: E-Mail an den RFV senden. Es wird keine Korrespondenz geführt.