Yerna – Notion: Die Liebe wird siegen

Reviews

Mitte September 2020 hat das Basler Dream / Chamber-Folk-Quintett zum Glück sein neues Album vor Publikum taufen können. Nun, da der Herbst vehementer durch die Strassen zieht, sieht es für die Live-Musikszene wieder sehr düster aus. Zeit also, nach längerer Schreib- und Arbeitspause meinerseits wieder mal über Musik zu schreiben und, eurerseits, zu lesen. Und auf zwei Yerna-Konzerte hinzuweisen.

Album Review

Der Sommer ging ins Land. Die Corona-Zahlen sanken gegen Null, und Doktor Fisch verbrachte drei Monate abseits von Musik, Arbeit und anderer Sommervergnügen mehrheitlich in medizinischer Obhut. Und so kam es, dass den ganzen Sommer und Spätsommer und Frühherbst über beim RFV Basel nichts über neue Platten geschrieben wurde.

Nun aber, wo das Live-Geschäft an vielen Orten (aber nicht überall) erneut und wohl für längere Zeit zum Erliegen kommt, meldet sich der Doc zurück mit Worten zur Musik. Nicht dass das ein echter Ersatz wäre für Live-Musik. Aber immerhin ein Comeback. Erste Plattenbesprechung seit fünf Monaten! Wir hoffen, es passt so, wieder.

Die ganz grossen Gefühle
Und Yerna passen mit ihrer ernsten und sanften Musik doch gut zur Stimmungslage. Seit die fünf von Serafyn getrennte Wege gehen – leider –, sind Yerna als neues Basler Quintett mit wehmütig gehauchten, wohltemperierten Klängen von Streichinstrumenten (Cello und Violine) und einer melancholisch wohlklingenden Frauenstimme noch mehr in den Fokus gerückt.

Doch Yerna sind natürlich nicht einfach die neuen Serafyns, sondern ein Kollektiv, oder vielmehr eine Band aus drei Frauen und zwei Männern, die unsere volle Aufmerksamkeit mehr als verdient – schon seit ihrer EP Expectations von 2018.

Notion nun ist ein komplettes Album mit den ganz grossen Gefühlen geworden, lässig in wohlgeformte Kompositionen gegossen. Nennen wir es Chamber Folk, auch deshalb, weil die Songs verteufelt musikalisch daherkommen und trotzdem sehr entspannt wirken. Und natürlich wegen der Violine. Und dem Cello. Und weil eben nicht diese von räudigen Hunden umrundeten, zerzausten Lagerfeuer, sondern eher üppig gepolsterte und holzgetäferte Räume zum Klang dieser Musik passen. Findet immerhin der Doktor.

Yerna © 2020
Yerna © 2020

Wie fallendes Herbstlaub

Wo Serafyn punktgenau und klangtransparent ihre am Pop-Songwriting geschulte Kunst vorgetragen haben, lassen Yerna ihre Songs gerne etwas verträumter und geschmeidiger und in grösseren Kreisen herumschweifen. Ohne jemals zufällig oder schludrig zu klingen, nein nein: Kompositionen und Sound sind durchdacht, das Handwerk wohl gut gebildet und erlernt. Auch die Gesangsstimme klingt mal an Jazz oder an noch älterer Musik geschult und melancholischer als bei Serafyn. Doch genug der Vergleiche.

Yerna haben ihren ganz eigenen Zugang zum Herbst, ohne je in Klischees zu verfallen. Yerna klingen – man kanns nicht erklären – irgendwie neuseeländisch. Songs wie «Longing», «Even» oder «Beauty» gleiten wie fallendes Herbstlaub durch die imaginären Konzertsäle und Melancholie-Resonanzräume des Landes. Und wo andere Bands sich erst hinlegen müssen, um das Dreamige in die Musik zu bringen, müssen Yerna gar nicht erst aufstehen, um glaubwürdig zu klingen.

Manche Songs wirken so tatsächlich schläfrig schön, etwa «Roots», ein Song, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens beinahe an Schönheit zu sterben droht: Zum Glück ist da diese fast schon heilende Stimme, die alles zusammenhält und den Walzer weiterträgt. Oder «Interlude», ein cineastisches Instrumental. Am Ende blitzt sicher der Song «Love Love» am hellsten auf und begleitet uns arme Sünder*innen wieder aus dem imaginären Konzertsaal heraus, und nicht wahr: Wir würden so gerne daran glauben, dass am Ende, am Ende ... immer die Liebe siegt.

Viren haben eben keine Ohren

Obwohl «Sieg» natürlich ein ganz blödes Wort ist. Und weil es Siege sowieso nicht gibt. Trotzdem. Nun müsste Doktor Fisch als Alt-Punk und Wiedergeborener ja sagen: «Tut mir leid Leute, die 70er sind vorbei. Digital ist besser!»

Aber so dumm und gemein ist Doktor Fisch natürlich nicht, denn handgemachte Folk / Popmusik ist und war ja nie aus der Zeit gefallen, sie spielte einfach woanders oder etwas leiser.

Aktuell ist diese Urban-Hippie-Musik – einst als Anti-Folk gestartet und mit Sufjan Stevens, Devendra Banhart und vielen anderen Namen, die dem Doc nicht mehr einfallen, so richtig big geworden, ach ja: Black Sea Dahu – nicht nur als Antwort auf die globale Digitalisierung wieder sehr weit vorne – eigentlich war diese Musik ja nie weg. Sie schläft einfach etwas länger als die Pop-Polizei erlaubt. Und wenn mal der Strom für lange Zeit ausfallen wird und all die kleinen hippen Geräte stumm rumliegen werden, bleibt eh nur das Handgemachte, und Konservendosen. Mit oder ohne Lagerfeuer.

So, fertig Romantik! Viren haben eben keine Ohren. Sonst würden sie nicht unsere liebe Live-Musik abwürgen, und unsere liebe neuen Platten so ins Leere laufen lassen. Wie auch immer: Wir können ja ganz einfach Yernas Musik täglich hören und mitschwelgen. Und gleich ihre wunderbare goldene oder schwarze Vinyl-LP ordern. Bis zum nächsten Live-Konzert trägt das alleweil. Viren kriegen dann ganz bestimmt kein Ticket. Wir schon.

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Yerna – Notion (Cover)
Yerna – Notion (Cover)

Yerna – Notion

(Sixteentimes Music Basel) ist am 11. September 2020 als LP und digital mit einem Beitrag der Jugendkulturpauschale Basel-Stadt erschienen und hier erhältlich: digital, Vinyl, Bandcamp (beides).

Live
12.11.2020  Basel, Atlantis
28.11.2020  Liestal, Laufwerk, Kulturnacht Liestal