Mehmet Aslan - The Sun Is Parallel: ein Sounderlebnis jenseits des Dancefloors
Das Debut von Mehmet Aslan ist eine absolute Wucht und im Bereich der elektronischen Musik eines, der spannendsten Debüt seit Langem. Die volle Wirkung entfaltet die Platte, wenn man sie am Stück hört. Die Belohnung ist ein Erlebnis, vergleichbar mit einem Roadmovie von Quentin Tarantino. Gäbe es an dieser Stelle eine Punktevergabe, hätte das Album 9 von 10 Punkten verdient.
John Bürgin
Anfang der 00er-Jahre war der Basler Produzent und DJ Mehmet Aslan noch ein junger Teenager, als er als Teil des Basler DJ Kollektivs Zaber Riders angefangen hat Platten aufzulegen. Von da an war Aslan auf der Suche nach neuen musikalischen Einflüssen. Dabei waren seine türkischen Wurzeln immer ein starker Wegweiser. 2013 erfolgte der erste offizielle Schritt in seinem zukünftigen Produzentendasein: Das englische Plattenlabel Highlife veröffentlichte sein Edit von Cem Karaca’s Lied «Raptiye Rap Rap».
Nach weiteren Edits und einer inzwischen guten Reputation, die über die helvetischen Grenzen hinausging, begann die nächste logische Etappe in Aslans Karriere. Er fing an sich fortan mit komplett eigenen Produktionen zu beschäftigen. Es dauerte gerade mal ein Jahr, bis seine von der internationalen Fachpresse gefeierte Debüt EP «Mechanical Turk» im November 2014 auf dem englischen Label Huntleys + Palmers veröffentlicht wurde.
Aslan schien mit seinem Mix aus elektronischer Clubmusik und türkischem Pop den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Sowohl Clubs wie auch Festivals auf der ganzen Welt buchten Aslan für seine einzigartige Musik. Er legte unter anderem Platten in Lyon und Marrakesch auf, wie auch in Tokyo und auf der Insel La Réunion im indischen Ozean.
Heute lebt Mehmet Aslan schon seit sieben Jahren in Berlin und ist zehn Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung an einem weiteren wichtigen Punkt angekommen: Die Herausgabe seiner ersten Soloplatte «The Sun Is Parallel».
The Sun Is Parallel
Mehmet Aslan hat für die Produktion von «The Sun Is Parallel» verschiedene Techniken angewendet. Eine davon war das Verarbeiten von eigenen Feldaufnahmen, die er im Verlauf der letzten Jahre immer wieder aufgezeichnet hat, so wie andere ein Foto knipsen. Mal ist es die Geräuschkullisse einer Hotellobby oder mal der Ton seiner eigenen Schritte bei einem Spaziergang. Das Hauptgerüst der meist rein instrumentellen Songs, wurde auch mit Hilfe von Sampling, Musiksoftware und Kollaborationen gebaut. Bei der Albumproduktion haben Musikschaffende, wie der befreundete Berliner Gitarrist Daniel Pankau oder die italienische Drummerin Valentina Magaletti mitgearbeitet. Letztere ist sonst Teil der Band Vanishing Twins und hat auch schon für Musiker wie Nicoals Jaar gearbeitet. Die Zusammenarbeit mit Magaletti und die mit einem spanischen Sänger Namens Niño de Elche, kamen ganz unkompliziert via soziale Medien zustande.
Dort wo Aslan die Technik des Samplings anwendete, diente die Technik oft nur um eine erste Skizze anzufertigen. Viele Samples (meistens gefunden auf alten Vinylplatten oder Youtube) spielte er für die Produktion einzelner Songs selbst nach, um so der Platte noch mehr Individualität zu verleihen. Aslan hat mehr als 3 Jahre an dem Longplayer gearbeitet. Entstanden sind elf Songs und ein sehr persönliches Debütalbum.
Track by Track
Eröffnet wird die Platte durch das sehr kurze und experimentelle Stück «Fountain». Noch innerhalb dieses Intros wird klar, dass Aslan sich musikalisch nochmals stark weiterentwickelt hat und die nächsten vierzig Minuten ein Sounderlebnis jenseits des Dancefloors werden.
Dann folgt «Domo». Es ist die erste von zwei Singleauskopplungen, welche schon vor dem Albumrelease herausgebracht wurde. Die Single wird dominiert vom Schlagzeugbeat des türkischen Schlagzeugers Alican Tezer und den stimmungsvollen Gitarrenriffs von Daniel Pankau.
Sowohl die Drums, wie auch die Riffs werden von Aslan klangästhetisch nochmals so veredelt und mit Soundelementen angereichert, dass das ganze Stück enorm an Fahrt aufnimmt und man sich nach wenigen Sekunden in einem spannenden Roadmovie glaubt. Es ist das erste Highlight des Albums. Es wird aber nicht das letzte sein. Genauer gesagt folgt das nächste schon mit «Rowndbass Acid». Die gleiche Tonlage und die gleichen Akkorde, einfach dieses Mal sehr viel elektronischer und einige Bpm’s schneller. Eine Art Fortsetzung auf Acid.
Nach einer intensiven Verfolgungsjagt, gönnt uns Aslan mit «If I Can Belong Anywhere» eine Verschnaufpause und zeigt sich von seiner nachdenklichen Seite. Es ist ein emotionales Ambientstück. Titel und Musik verlangen Antworten zu seiner Herkunft und musikalischen Zugehörigkeit. Ein Gedankenanstoss gibt vielleicht das Sample einer Rede des bedeutenden Afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin.
Weiter mit dem Kopfkino geht es bei «Tangerine» und «Tangerine Sun», einem cineastischen Zweiteiler. Für den ersten Teil arbeitet Aslan mit dem spanischen Flamencosänger Niño de Elche, der dem Stück das nötige Drama gibt. Die Gitarrenriffs und Soundeffekte, die zum Teil wie unheimliche Geisterstimmen klingen, lösen Faszination und Unbehagen zugleich aus. Das Ganze könnte sich nachts auf einer staubigen Überlandstrasse irgendwo im spanischen Hinterland abspielen. Im zweiten Teil macht sich eine gewisse Erleichterung breit und man darf sich furchtlos der Sonne entgegentreiben lassen.
Es folgt ein zweiminütiges Zwischenstück mit dem eigenwilligen Titel «There Is No Such Thing As Herkunft». Fragt man Aslan was ein deutsches Wort in einem englischen Titel zu suchen hat, lautet seine simple Antwort: «ich bin Schweizer und spreche eigentlich Deutsch».
Nach diesem wieder eher experimentellen Interlude, welches sich innerhalb der elf Songs sehr intuitiv und logisch anfühlt, sind nun die Weichen gestellt für das Filetstück des Albums: «Garden». Dies ist die zweite Vorabsingle und das Prunkstück des Albums. Für diesen Song hat Aslan mit der italienischen Drummerin Valentina Magaletti zusammengearbeitet. Sie ist eine der spannendsten Schlagzeugerin unserer Zeit und hat Aslan mit einem langsamen Jazzbeat beliefert, eingespielt mit Drum-Besen und ganz viel Sinnlichkeit. Was Aslan daraus macht, ist ein kleines Schmuckstück. Er gibt dem Song so viel Liebe, dass er das ursprünglich vorgesehene Sample aus dem Song «The Rainbow» von TalkTalk wegliess und es dafür nochmals selbst einspielt hat. Dazu verwendet er eine Akkordeonmelodie, die klingt, als wurde sie in den 40er-Jahren am Ufer der Pariser Seine aufgezeichnet. In Wahrheit stammt die Melodie aus einer der vielen Sound Library, die man im Internet findet. Die Kunst liegt hier aus der Fülle das passende zu finden.
Benommen von dieser fesselnden Atmosphäre rutscht man in das kurze Referat des kanadischen Komponisten Raymond Murray Schaefer, welches mit Aslans eigenen Feldaufnahmen unterlegt wurde. «Private Soundscape» zeigt uns nochmals deutlich, dass Aslan fast in allem eine Inspirationsquelle findet.
Der Abschluss des Albums machen die Tracks «Kakusui» und «Everyone Is Also You». Die beiden Produktionen lassen uns am Schluss dann doch noch in einem Nachtclub unserer Gegenwart aufwachen. Nach den vorherigen neun Songs, wirken die Electrobeats fast schon generisch und so, als möchten sie zum Tanzen auffordern. Sie werden es kaum schaffen, oder bist du nach einem mitreissenden Kinofilm schonmal direkt auf den Dancefloor gerannt?
Mehmet Aslan - The Sun Is Parallel
Das Album ist am 11. November 2022 bei Planisphere Editorial erschienen und auf allen digitalen Plattformen zu streamen. Unterstützt wurde die Produktion durch einen beitrag des RegioSoundCredit 2020 unterstützt.
Mehmet Aslan
Beiträge
7 500 CHF | RegioSoundCredit Tonträger, Musikvideo | 2023
4 000 CHF | Nominierung Basler Pop-Preis | 2022
4 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2020
3 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2019
2 000 CHF | RegioSoundCredit Tonträger | 2019
über John Bürgin
Der gebürtige Basler ist seit Anfang an beim jungen SRF-Radiosender Virus in der Musikredaktion mit dabei und ist seit einigen Jahren Teil der SRF Fachredaktion Musik und ist Teil der Sounds! Redaktion bei SRF3 und ist dort der Gatekeeper für alles Elektronische und produziert das Format «sounds!mixtape». Daneben steht er auch selbst regelmässig hinter den DJ Decks.
John Bürgin
Jurymitglied RegioSoundCredit 2021-2022 (Resonate 2018-2019)
Der gebürtige Basler ist seit Anfang an beim jungen SRF-Radiosender Virus in der Musikredaktion mit dabei und ist seit einigen Jahren Teil der SRF Fachredaktion Musik und ist Teil der Sounds! Redaktion bei SRF3 und ist dort der Gatekeeper für alles Elektronische und produziert das Format «sounds!mixtape». Daneben steht er auch selbst regelmässig hinter den DJ Decks.
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