Zatokrev & Minsk – Bigod Split): Aus schwerster Tiefe zum relaxten Finale
Mit Split-Kollaborationen ist es ja manchmal so eine Sache. Wie oft werden stumpf irgendwelche kultigen Uralt-Schoten irgendwelcher Krachkapellen, die vor öchtzig Jahren in irgendeinem Keller eingestümpert wurden, lieblos auf eine Tracklist geklatscht und als spezielles Sammler-Gimmick unters johlende Volk gebracht. Wenn man Glück hat, besteht zwischen den einzelnen Kollaborateuren musikalische oder inhaltliche Kohärenz, wenn man Pech hat, ist mindestens eine Seite komplett vernachlässigbar.
Boris Alexander Witta
Dass es auch anders geht und dass es durchaus künstlerisch wertvolle Zusammenarbeiten gibt, denen ein schlüssiges, kompetent umgesetztes Konzept zugrunde liegt, beweisen beispielsweise die Split-Kombis aus Abigor, Nightbringer, Thy Darkened Shade und Mortuus; nennen darf man an dieser Stelle auch die im Black-Metal-Untergrund hysterisch abgefeierte und entsprechend stark gesuchte «Crushing The Holy Trinity»-Split, auf der sich insgesamt gleich sechs Vertreter extremer Tonkunst die Ehre geben, darunter Hochkaräter wie Deathspell Omega, Mgla und Clandestine Blaze.
Wozu dieses Vorgeplänkel? Nun, wer mit dem Schaffen der hier agierenden Bands nicht erst seit gestern vertraut ist, dürfte wenig überrascht sein von der Tatsache, dass Bigod ohne Zweifel in die zweite Kategorie – die Kategorie «musikalisch und konzeptuell hochwertig» – fällt. Zatokrev aus Basel und Minsk aus Peoria/Chicago eint das Gründungsjahr 2002, die musikalische Herkunft und diverse sich daraus ergebende gemeinsame Konzerte und Tourneen.
Für beide Bands ist der schwammige Begriff Sludge längst zu einengend und limitierend geworden. Ihre Musik offenbart zahlreiche Einflüsse aus verschiedensten Sektoren, entsprechend ausgiebig kann man in ihren Klangkosmos eintauchen und entsprechend uferlos kann eine Analyse desselben ausfallen.
Underdogs mit hoch spannender Entwicklung
Eine weitere Gemeinsamkeit beider Formationen besteht in ihrem Underdog-Status; dies zieht sich vor allem durch die Zatokrev-Biographie wie ein roter Faden. Der Anteil von Frontmann, Sänger, Gitarrist und Kopf Frederyk Rotter als Wegbereiter für extremen Metal in Basel einerseits (in diesem Zusammenhang müssen auch das seit einiger Zeit annuell stattfindende Indoor-Festival Czar Fest sowie sein Label Czar Of Crickets Productions genannt werden) und andererseits seine unermüdliche Energie, die Band auch weit über nationale Grenzen voranzutreiben, sind nicht hoch genug einzuschätzen.
Wenn man sich zudem retrospektiv mit der Diskographie Zatokrevs beschäftigt und ganz hinten mit dem selbstbetitelten 2003er-Demo beginnt, kommt man nicht umhin, der Band eine gewaltige, umfassende und hoch spannende Entwicklung zu attestieren. Schon immer eine ambivalente Urgewalt zwischen Brachialität und Filigranität, haben sich Zatokrev über die Jahre ihre ganz eigene musikalische Nische erschaffen, die irgendwo zwischen den Schwerpunkten extremer Metal, psychedelische Vielschichtigkeit, dunkel-hypnotische Schwere, manische Eruption und hoffnungsvoller Zerbrechlichkeit oszilliert.
Das 2015er-Album Silk Spiders Underwater (Cover oben) gab als sehr eklektisches Werk schon einen Fingerzeig darauf, was man für Zukunft noch erwarten darf und durfte. Die extremen Pole wurden ausgereizt wie nie zuvor, an einem Ende der Skala fast schon lupenreine Black-Metal-Nummern und als Kontrastpunkt dazu epische, fast schon balladeske Momente, die auch Elemente des Rotter’schen Singer/Songwriter-Soloprojektes The Leaving integrierten. Und selbstredend alles dazwischen.
Es lodert an allen Ecken und Enden
Damit sind wir nun auch bei Bigod angelangt, auf dem sowohl Zatokrev als auch Minsk mit je zwei Titeln vertreten sind; Minsk bilden dabei die musikalische Klammer. Beide Bands offerieren je einen Mammutsong sowie eine Nummer, die in schöpferischer Kreativität mal mehr (Zatokrev!), mal weniger aus ihrem «gewohnten» musikalischen Spektrum ausbricht.
Trotz extremer Unterschiede zwischen den einzelnen Songs und auch deutlicher Unterschiede in der Ausdrucksform der jeweiligen Band, zieht sich eine bestimmte Atmosphäre, ein bestimmter Groove durch das gesamte Album. Zudem haben sich Minsk und Zatokrev bei jeweils einem Song gegenseitig gesangliche Unterstützung geleistet. Bigod trieft vor Inspiration, vor Hingabe, es lodert an allen Ecken und Enden, auch und vor allem in den vordergründig dezenten Momenten, die im nächsten Augenblick in fesselnde, wütende Durchschlagskraft umschlagen können.
Es ist offensichtlich, dass sich die beiden Bands gegenseitig gepusht und gefordert haben. «Silent Gods» (Video unten), das Magnus Opus von Zatokrev, beginnt sanft, unheimlich zerbrechlich und zutiefst schwermütig; Frederyk Rotters – gebirgsbachklare – Stimme klingt dabei so unmittelbar und direkt, als stünde er direkt vor uns. Es folgt der erste Cut (und wenn ich Cut schreibe, meine ich einen dergestalt geschickt eingefädelten Übergang in eine neues musikalisches Thema, dass man als Rezipient*in zu keiner Sekunde stockt oder gar irritiert ist) in ein über-mannsgrosses, offenes Riff nebst schönen Ride-Spielereien und einem supersmoothen Orgel-Synthie mit erhaben-sakralem Grundtenor.
Gleich einer Theaterkulisse wechselt die Szenerie auch in der Folge praktisch unangekündigt, dafür umso fliessender. Ein disharmonischer Part, der eine Art nonchalante Lässigkeit ausstrahlt, verweist auf den Einfluss der französischen Avantgardisten Blut Aus Nord. Es folgt die Kernkompetenz, wohl DAS Signet der Band überhaupt: Ein sich steigerndes, hypnotisch wiederholtes, alptraumhaftes Riffgebirge, eine tonnenschwere Kaskade. Ein Paradebeispiel, wie unbarmherzig und schwer die Musik Zatokrevs sein kann, das Bild eines Raubtiers evozierend, an einer Kette angeleint, immer ganz kurz vor dem Sich-Losreissen. Hier tritt auch das virtuose – und jetzt schon schmerzlich vermisste – Schlagzeugspiel Fredo Hugs zutage, dessen Kunst darin liegt, dass es vordergründig oft simpel und rein songdienlich erscheint, in der genauen Analyse aber regelmässig für verknotete Hörgänge sorgt.
Besagter Fredo Hug gibt auf Bigod seine Abschiedsvorstellung bei Zatokrev und haut noch einmal alles raus; auch die charakteristischen Tribal-Einlagen fehlen nicht. Der tonnenschwere Part entwickelt sich weiter, schlägt um in einen spacigen, galaktisch-ergreifenden Chorus, der an Devin Townsend in seiner Physicist-Phase erinnert – oder an diverse Strapping-Young-Lad-Schoten. Wütende Erhabenheit, Geballer und Psychedelik in einem. Gegen Ende von «Silent Gods» wird der Bogen zurückgespannt, der Kreis schliesst sich. Und hinterlässt eine*n vollkommen geplättete*n Hörer*in.
Auftritt: Der wirr babbelnde Mönch aus «Der Name der Rose»
«Salvatore» ist dann ein ganz neuer Farbtupfer, ein musikalisches Experiment. Der Titel steht dabei nicht – wie fälschlicherweise vom Rezensenten antizipiert in der ursprünglichen Wortbedeutung – für Heiland oder Erretter (was durchaus zu den nachdenklichen, Sinn suchenden Texten beider Bands gepasst hätte), sondern hat eine ganz andere Intention. Für den Song, der sich als eine Mischung aus Ambient-Klangcollagen und tiefschürfender Meditationsmusik darstellt, hat Rotter aus zahllosen bestehenden Sprachen eine neue, eigene zusammengesetzt. Diese absolut krud-geniale Idee klingt in der gesanglich-gesprochenen Umsetzung wie ein beschwörendes, eindringliches Mantra, was durch die Fremdartigkeit der Laute und die aus mitteleuropäischer Sicht vollkommene Unverständlichkeit unterstrichen wird.
Was wabernd, dezent und nicht fassbar beginnt, unterlegt von subtiler Spannung, mit einer einsamen, trotzigen, feinen Melodie inmitten des ätherischen Raumes, steigert sich zu einer eindringlichen, an Intensität zunehmenden Geräuschkulisse, die sich in einem vehement herausgeschrienen Chorus kumuliert, der sich gleich einer überschäumenden Quelle bombastisch in die Klanglandschaft ergiesst und für meterdicke Gänsehaut sorgt.
Besagten Part hätte man von mir aus noch weitaus länger ziehen können. Es fällt schwer, für den Song irgendeine Referenz heranzuziehen, also lass ich es gleich bleiben. «Salvatore» ist nach dem wirr babbelnden Mönch aus Umberto Ecos Überwerk «Der Name der Rose» benannt; besagter Mönch spricht «alle Sprachen der Welt, aber eben doch keine richtig». Eine wunderbare Referenz. Der Song soll musikalisch und inhaltlich das Gefühl von Freiheit vermitteln, das man nach einem Traum im Halbschlaf hat: Die im Traum gewonnene Erkenntnis hat sich verflüchtigt, aber das erfüllende Gefühl bleibt, hallt nach.
Schöne Randnotiz: Die beiden Zatokrev-Beiträge sind je einem Bandmitglied gewidmet, die auf Bigod zum letzten Mal ihren Teil beigesteuert haben.
Minsk: Volle Wirkung nach einiger Anlaufzeit
Mein Fachwissen betreffend Minsk hat einen deutlich kleineren Umfang; sie sind für mich eine dieser Bands, mit denen man sich immer wieder eingehender beschäftigen will, aus welchen Gründen auch immer es dann aber doch nicht tut. In Erinnerung geblieben ist aber ein Konzert im November 2009 in Bulle, wo sich Minsk, A Storm Of Light und auch Zatokrev die Ehre gaben. Minsk als Headliner nach den epischen A Storm Of Light erwies sich als schwierig, da sich die Musik der Band aus Chicago als anspruchsvoll, hektisch und zäh im Zugang erwies.
Dieser Eindruck verfestigt sich auch in den ersten Momenten des Openers «Invoke/ Revive»: Ohne Einleitung geht es direkt mitten ins Geschehen, hektisch, energetisch, sehr rhythmusbetont, mit sattem Groove ausgestattet. Der Gesang pendelt irgendwo zwischen halbklar und Gebrüll, mit einigen hysterischen Ausschlägen nach oben. Was sich bereits nach wenigen Sekunden festhalten lässt, ist die musikalische Versiertheit des US-Fünfers, was sich in verschachtelten Breaks und technisch beschlagenen Riffs äussert, denen dafür die Eingängigkeit im ersten Teil des Songs ziemlich abgeht.
«Invoke/ Revive», ebenfalls von monströser Überlänge, enthält aber wie «Silent Gods» viele geschickt eingefädelte Stimmungswechsel und schlägt in einem zweiten Teil in eine super-atmosphärischen, klassisch postigen Teil, der zum einen in Richtung Shoegaze schielt und zum anderen die herausgeschleuderte Energie des Ausstiegs in Entspannung und Kontemplation verwandelt. Von der äusseren Tatkraft zur inneren Einkehr quasi.
Am 2. November wird Bigod in der Kaserne Basel getauft
Passend dazu ein phänomenaler Chorus und spacige FXs, dezent den Hörer einlullend und umgarnend. Der Song als solches braucht einige Anlaufzeit, entfaltet dann aber umso mehr seine Wirkung. Zudem ist es wahrscheinlich die Nummer mit den meisten typischen Sludge-Elementen auf Bigod. Trotzdem: Wo sich andere Bands dieses Genres in stoischer Repetitivität ergehen, sticht bei Minsk der progressiv denkende Anspruch der Musiker heraus, welcher mit für den Signature-Effekt verantwortlich ist.
Dramaturgisch geschickt, folgt auf die beiden riesigen Brocken erst «Salvatore» und schliesslich zum Abschluss «The Chalice And The Dagger». Der Titel klingt zwar schwerstens nach okkultem Siebziger-Rock oder aus dem Standard-Setzkasten für Black-Metal-Songs gegriffen; tatsächlich aber ist es eine herrlich entspannte, sehr groovige Nummer, die für einen sehr runden Abschluss sorgt.
Wo vorher Schwere, emotionale Tiefe, Spannung und Ergriffenheit dominierten, brechen sich nun Relaxtheit und Zufriedenheit Bahn. Teilweise mit Alternative-Einschlag, hat das Schlagzeug zumindest stellenweise Pause und wird unterstützt bzw. ersetzt durch diverse Percussions, was am Ende sehr eingängig fliesst und rollt. Ein sehr stimmig geratenes Finale, da der Grossteil des vorangehenden Materials doch sehr fordernd und weit entfernt von Easy Listening ist. Aber auch das dürfte niemanden überraschen, der oder die sich ein klein wenig mit Minsk und Zatokrev auskennt.
Summa summarum strahlt Bigod genau diese Art der Aura aus, die ein wahrhaftiges Kunstwerk eben atmen muss: Originalität, Authentizität, Einmaligkeit und eine tiefere, eine sakrale Dimension¹ sind die Pfeiler, auf denen das Album beruht.
Die gemeinsame Tour von Minsk und Zatokrev rollt seit dem 18. Oktober 2018 quer durch Europa. Am 2. November wird Bigod in der Kaserne Basel getauft, mit Special Guest Schammasch (Ticketverlosung unten). Und im Dezember werden Zatokrev die Basler Senkrechtstarter Zeal & Ardor für vier Shows ihrer Europa-Rundreise supporten. Ein Besuch dürfte sich lohnen.
¹ frei nach Walter Benjamin aus «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit», 1936.
Zatokrev & Minsk – Bigod
(Consouling Sounds, Belgien / Czar Of Crickets Productions Basel) ist am 5. Oktober 2018 mit einem Beitrag des RegioSoundCredit des RFV Basel als DO-LP, CD und digital erschienen. CD oder LP bestellen hier.
Ticketverlosung Plattentaufe
Am 2. November sind Zatokrev und Minsk in der Kaserne Basel zu Gast, Special Guest: Schammasch. Teilnahme Verlosung 2 x 2 Tickets: E-Mail an den RFV Basel senden. Es wird keine Korrespondenz geführt.
Bigod-Tour 2018²
18.10.18 B-Ghent, Café Charlatan
19.10.18 NL-Leuwaarden, Into The Void Festival
20.10.18: D-Oldenburg, MTS Records
21.10.18 PL-Poznan, Klub u Bazyla
22.10.18 PL-Wroclaw, D.K. Luksus
23.10.18 CZ-Prague, Underdogs'
24.10.18 CRO-Zagreb, Klub Močvara
25.10.18 GR-Athens, Kyttaro (Minsk only)
26.10.18 BG-Sofia, Mixtape 5
27.10.18 SRB-Belgrade, Elektropionir
28.10.18 H-Budapest, Dürer Kert
29.10.18 SK-Bratislava, Randal Club
30.10.18 D-Leipzig, Bandhaus Leipzig
31.10.18 D-Karlsruhe, Dudefest Karlsruhe
01.11.18 CH-Bulle, Ebullition
02.11.18 CH-Basel, Kaserne, Plattentaufe, Special Guest: Schammasch
03.11.18 CH-Winterthur, Gaswerk
² mit einem Beitrag des RegioSoundCredit (Zatokrev)
17.11.18 F-Oignies Tyrant Fest 2018 (Zatokrev und Schammasch)
Zatokrev und Zeal & Ardor
25.11.18 B-Antwerpen, Zappa
26.11.18 NL-Amsterdam, Melkweg
27.11.18 NL-Tilburg, 013 Jupiler Zaal
28.11.18 D-Köln, Essigfabrik